Überzeugendes Formgefühl

Aufmerksamkeit auf das Wesentliche lenken: Eine kleine Reihe mit dem Komponisten und Klarinettisten Jörg Widmann bei den Musiktagen Hitzacker

von REINALD HANKE

Es war im Jahr 2000, als der Münchner Komponist und Klarinettist Jörg Widmann seinen ersten spektakulären Erfolg in Norddeutschland verbuchen konnte: Im deutschen Expo-Pavillon in Hannover wurde ein ungewöhnliches Musiktheaterstück mit dem Titel Die Befreiung aus dem Paradies aufgeführt, das zu den Höhepunkten des musikalischen Avantgarde-Programmes auf der Weltausstellung werden sollte. Die in sich hermetisch wirkende, teilweise durch die Verwendung „exotischer“ Instrumente fremd erscheinende Tonsprache faszinierte viele Vorstellungsbesucher. Und ihr Komponist Jörg Widmann wurde fortan zu einem festen Begriff in der Musikszene.

Hört man heute verschiedene Stücke Widmanns hintereinander, fällt auf, dass Widmann sich immer wieder auf sehr unterschiedliche Weise musikalisch artikuliert. Manchmal scheint es, als suche er noch nach seinem Stil. Was nicht verwunderlich ist, aber andererseits nicht von Unentschlossenheit zeugt, ist der 1973 geborene Widmann doch gerade erst am Anfang seiner Tonsetzer-Karriere. Da ist es mehr als legitim, wenn ein Komponist immer wieder Neues ausprobiert, um seine Klangsprache zu finden, zu variieren oder zu erweitern.

Allen seinen zunächst so unterschiedlich geratenen Stücken gemeinsam ist der Mut zur fast romantischen Expressivität. Darüber hinaus verblüfft Widmanns Fähigkeit, durch das bewusste Spiel mit zarten Klangvaleurs und durch kompositorische Konzentration die Aufmerksamkeit des Hörers auf das Wesentliche zu lenken: auf die Momente des Innehaltens, die kleinen, manchmal aphorismenhaft anmutenden musikalischen Gesten. Zuletzt ließ sich das auf einer Porträt-CD, erscheinen bei Wergo, bestens nachvollziehen.

In Widmanns Orchesterwerken überzeugt immer wieder sein Formgefühl und seine Fähigkeit, lange musikalische Bögen zu gestalten. Sein Cello-Konzert etwa, dokumentiert auf einer vorzüglichen CD (bei Berlin Classics), wirkt trotz der langen Dauer von fast 45 Minuten wie aus einem Guss. Da hält der kompositorische Spannungsbogen vom ersten bis zum letzten Ton und die Form des Stückes wächst wie natürlich von innen heraus – als ob es gar nicht anders ginge. Widmanns Orchesterstück Implosion, das vor zwei Jahren in Donaueschingen uraufgeführt wurde, verwundert hingegen durch eine von ihm nie zuvor gehörte Wildheit und eine auffallende stilistische Nähe zu Wolfgang Rihm.

Im Auftrag der diesjährigen Sommerlichen Musiktage hat Widmann eine Reihe von Stücken geschrieben, die als Zwischenspiele einer Aufführung von Joseph Haydns Streichquartett „Sieben letzte Worte“ dienen sollen. Die Uraufführung ist für den kommenden Dienstag vorgesehen, es spielt das Keller-Quartett aus Budapest. Darüber hinaus wird Widmann auch als Klarinettist in Hitzacker zu erleben sein: beim Städteporträt „Grand Tour: Budapest“ am Sonntagvormittag sowie im Rahmen des Robert Schumann gewidmeten Programms „Traumeswirren“ am 1. August. Hier werden neben Werken von Schumann auch Kompositionen von Brahms, Berg und Kurtag gespielt. Nicht nur dazu lohnt die kleine Reise nach Hitzacker.

„Grand Tour: Budapest“: Sonntag, 27.7., 11 Uhr, Konzertsaal; „Sieben letzte Worte“: Dienstag, 29.7., 19.30 Uhr, Kirche St. Johannis; „Traumeswirren – Hommage à Schumann“: Freitag, 1.8., 19 Uhr, Konzertsaal; alles in Hitzacker. Vollständiges Programm: www.musiktage-hitzacker.de