Die Königstiger überraschen

Die deutsche Freistil-Staffel der Männer schwimmt gleich viermal Bestzeit und holt damit Bronze. Im DSV wertet man dies als positives Zeichen im Hinblick auf Olympia

BARCELONA taz ■ Im Palau Sant Jordi war endlich die Zeit für große Worte gekommen. Gerade hatten die deutschen Männer bei der Schwimm-WM in Barcelona ihre erste Medaille geholt – Bronze über 4 x 200 Meter Freistil – und nachdem es kurz zuvor noch im Becken zur Sache gegangen war, ließen es die Beteiligten auch hernach verbal so richtig krachen. „Das ist der Oberhammer, die vier Königstiger haben zugeschlagen“, sagte Ralf Beckmann, der Teamchef des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV), und rannte los, als Johannes Oesterling, Lars Conrad, Stefan Herbst und Christian Keller um die Ecke bogen: „Jetzt muss ich die Männer knutschen!“

Die Erlösung war spürbar. Denn die DSV-Männer drohten wirklich ein bisschen unterzugehen neben all den Thorpes, Phelps, van den Hoogenbands und Popows im Teilnehmerfeld. Und natürlich neben ihren eigenen Frauen, die bis Mittwoch schon dreimal Gold und einmal Bronze geholt hatten. Doch dann passierte etwas ziemlich Ungewöhnliches: Alle vier Staffelschwimmer kraulten persönliche Bestzeit, was vor allem nach den enttäuschenden Einzelauftritten von Conrad und Herbst nicht zu erwarten war. „Das ist die überraschendste Medaille bei dieser WM überhaupt“, fasste Beckmann das zusammen. Und der Beleg dafür, dass die deutschen Männer gute Teamplayer sind. „Ich weiß auch nicht, warum“, sagte Stefan Herbst, der deutsche Meister, „in der Staffel bin ich viel, viel lockerer als im Einzel – da fällt alles leichter.“

Die Staffelmedaille war aber auch eine ganz spezielle, individuelle Geschichte. Die der Hassliebe zwischen den Schlussschwimmern Christian Keller und Massimiliano Rosolino. Der Deutsche und der Italiener lieferten sich auf der Schlussbahn einen spannenden Kampf, den Keller gewann. Die Story dazu: Vor Olympia und der EM 2000 waren die beiden noch dicke Freunde gewesen, dann gab es Verwirrungen um verschwundene Dopingproben in Italien, in die auch Rosolino verwickelt gewesen sein soll. Der Italiener holte EM-Gold über 200 Meter Lagen, aber Keller fühlt sich bis heute als der „wahre Europameister“. Aus seiner Abneigung machte der Essener keinerlei Geheimnis. „Diesmal mach ich dich platt“, habe er auf dem Startblock gedacht. So machte er es.

Trotz der ersten Medaille sieht die Bilanz der deutschen Männer noch nicht so besonders aus. Beispiel Mark Warnecke (Cannstatt): Der Brustschwimmer kam beim Anschlag über 50 Meter ganz schlecht hin, weshalb ihm nur 8 Hundertstelsekunden zu Bronze fehlten. „Mit einer Medaille wäre alles supertoll gewesen“, sagte der 33-Jährige, „so sieht es halt schlecht aus.“ Ärgerlich sei das, natürlich, aber im Hinblick auf die Olympischen Spiele findet Warnecke seine eigenen und die Leistungen seiner Kollegen gar nicht so schlecht. Rückenschwimmer Steffen Driesen (Wuppertal) hatte über 100 Meter in 54,17 Sekunden einen deutschen Rekord aufgestellt – und war schließlich mit 25 Hundertsteln Rückstand auch nur Vierter geworden. „Pech“, sagt Warnecke und liegt im Hinblick auf Athen auf der gleichen Linie wie Sportdirektor Beckmann, der diese WM als „vorolympische Bestzeitübung“ bezeichnet hatte.

Für Christian Keller ist ohnehin wichtiger, dass im DSV-Team offenbar eine noch nie erlebte Harmonie herrscht. „Es gibt ein wahnsinniges Wir-Gefühl“, sagt der 30-Jährige, „es gibt keine Stars und keine Underdogs, jeder wird gleich behandelt.“ Mark Warnecke sieht das ähnlich. Weshalb der 95-Kilo-Mann sich schon vor längerer Zeit dafür entschieden hat, bis Athen weiter zu schwimmen und damit seine fünften Olympischen Spiele in Angriff zu nehmen. „Ich bin ein Risiko eingegangen und habe mein Training umgestellt“, sagt der Arzt, der ganz nebenbei an einer Bochumer Klinik die Sportambulanz aufbaut. „Das Ergebnis ist: Hier in Barcelona habe ich eine meiner besten 100-Meter-Zeiten überhaupt geschafft.“ Auch wenn es am Ende nur zu Rang vier gereicht hat.

JÜRGEN ROOS