Nazis laufen lassen?

■ Heute demons-trieren in Bochum Rechte gegen den Neubau einer Synagoge. (Treffen der Gegner: 10 Uhr, Hbf) Die Frage: Nazi-Demos erlauben oder verbieten?

JA

Einmal die Woche spiele ich Fußball in der Freizeitliga. Vor anderthalb Jahren meldete sich dort ein neues Team an – ihr Mannschaftsname endete auf die Zahl 88. Und schnell wurde klar, unsere neuen Spiel-Kameraden meinten damit die rechtsradikale Chiffre, zweimal den achten Buchstaben: Heil Hitler. Dazu fiepte das Horst-Wessel-Lied als Klingelton, Kahlköpfe mit Kampfhunden fanden sich als Zuschauer ein. Auch wenn die Spieler auf dem Platz rassistische Sprüche vermieden, wurde in unserer Mannschaft, in der Liga intensiv über den Ausschluss der Rechtsaußen diskutiert. Der Vorstand tagte und kam zu einem Ergebnis: Die Mannschaft muss die 88 streichen, bei rassistischen Vorfällen fliegt sie sofort aus der Liga.

Ich habe mich zuerst geärgert, wollte nicht gegen Neonazis antreten, nicht vor betrunkenen Skinheads aufspielen. Vor ein paar Wochen habe ich trotzdem mitgespielt. Aber was ist richtig? Ausschluss oder Duldung?

Letztlich verhält es sich mit den Neonazi-Demos gegen Moscheen oder wie heute in Bochum unverbrämt gegen den Neubau einer Synagoge ganz ähnlich. Die schlichteste Lösung wäre es, die widerwärtigen Demoaufrufe und Nazi-Aufläufe einfach zu verbieten. Aber ist es auch die richtige?

Im Bundesinnenministerium kursiert derzeit ein Referentenentwurf zu einem neuen Gesetz, das es dem Staat erleichtern soll, derartige Versammlungen zu verbieten. Doch mit dem Einschränken des Versammlungsrechtes an historischen Orten, mit einem angedachten Generalverbot für Versammlungen, die das NS-Regime, Gewaltherrschaften oder auch Terrorstrafen verherrlichen, werden Grundrechte verwässert. Wer definiert, was Recht ist, was Unrecht ist oder gar Terror?

Was an den Verboten noch stört: Wenn der Staat die Nazis nicht auf die Straßen lässt, könnte man glatt meinen, es gibt sie nicht. Doch aus den Augen, aus dem Sinn hilft nicht gegen Rechtsradikale, die das Ruhrgebiet neu entdeckt haben, um die Unzufriedenen aufzusammeln. Aber was hilft gegen Neonazis?

Ein Gegenentwurf. Statt Menschenfeindschaft auf Menschen setzen, auf eine Gesellschaft, die sich nicht nur leise ekelt vor den Neonazis, sondern ihnen entschlossen entgegen tritt.

Zurück zum Fußball: Am allerbesten ist es, gegen Neonazis zu gewinnen. Nicht vor Gericht, sondern auf dem Platz und auf der Straße.

CHRISTOPH SCHURIAN

NEIN

Vor 66 Jahren verbrannten Rechte die Bochumer Synagoge, heute hetzen sie gegen den Neubau des Gotteshauses und haben dafür einen juristischen Freibrief: Eine unerträgliche Fehlentscheidung.

„Keine Steuergelder für den Synagogenbau“ heißt heute das rechte Motto. Die Wortwahl allein gab dabei den Ausschlag für die Erlaubnis vom Bundesverfassungsgericht. „Stoppt den Synagogenbau – vier Millionen fürs Volk“ fanden die gleichen Richter im März noch volksverhetzend, weil die jüdischen Bürger damit explizit aus dem deutschen Volk ausgegrenzt würden. Der Aufmarsch wurde verboten. Diesmal soll erkennbar die Steuerpolitik im Zentrum stehen – der hetzerische Rest ist eben Meinungsfreiheit.

Dass der neue Antrag extra fürs Verfassungsgericht formuliert wurde, wissen wohl auch die Verfassungsrichter – für ihre Vorinstanzen lag das jedenfalls auf der Hand. Für das höchste deutsche Gericht sind die Formulierungskünste der Braunen aber offenbar wichtiger als das Fundament unserer Verfassung, das sie bedrohen.

Und das tut ein rechter Marsch gegen eine Synagoge: Nach dem größten Unrecht der Geschichte verspricht das Grundgesetz die Menschenwürde eines jeden zu schützen – und verpflichtet sich, ein friedliches Miteinander zu ermöglichen.

Dass heute Rechte gegen den Neubau einer von Nazis verbrannten Synagoge demonstrieren, spricht den jüdischen BürgerInnen diese Grundrechte ab. Diesen Menschen, deren Gemeinschaft in Bochum und in ganz Deutschland in beispielloser Weise malträtiert wurde, schreien heute erneut Neofaschisten entgegen: Baut eure Synagogen nicht in diesem Land. Die neue Rechte reiht sich damit nahtlos in die Reihen derer ein, die die Synagoge vor 66 Jahren anzündeten. Antisemitische Menschenverachtung darf in Deutschland nicht legal sein: Sie macht unter dem Mantel der Meinungsfreiheit ein Völkermordsregime wieder salonfähig, das auf die freie Meinungsäußerung spuckte.

Und weil in der jungen Vergangenheit der Staat Täter war, ist es heute seine Aufgabe, an dieser symbolträchtigen Stelle eine Grenze zu ziehen und sich vor jüdische Bevölkerung zu stellen. Nicht aus formalen Gründen, sondern um dieser unmittelbar an den Holocaust anknüpfenden Hetze entgegenzurufen: Das wird es in diesem Land nie wieder geben.

MIRIAM BUNJES