Die Spitzel-Bahn

VON RICHARD ROTHER

Die Deutsche Bahn AG hat rund 173.000 Beschäftigte heimlich mit einem Massendatenabgleich überprüft. Das sagte der Antikorruptionsbeauftragte des Konzerns, Wolfgang Schaupensteiner, nach Angaben von Teilnehmern am Mittwoch in einer nichtöffentlichen Sitzung des Verkehrsausschusses des Bundestages. Die Daten der Beschäftigten seien mit jenen von 80.000 Firmen abgeglichen worden, zu denen die Bahn Geschäftsbeziehungen hatte. Bisher war lediglich die Überprüfung von rund 1.000 leitenden Angestellten in den Jahren 2002 und 2003 bekannt. Der Konzern hat rund 240.000 Beschäftigte.

Nach Angaben aus Ausschusskreisen ergab der Datenabgleich rund 300 Auffälligkeiten wie identische Adressen oder Namen. Davon habe die Bahn 175 Fälle weiterverfolgt; ein konkreter Tatverdacht habe sich lediglich bei einer Handvoll von Fällen ergeben.

Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix sagte laut Ausschussteilnehmern, die Bahn müsse wegen Datenschutzvergehen in mindestens zwei Fällen mit Geldbußen von 250.000 Euro rechnen. Der Datenabgleich hatte nach Dix’ Worten den Charakter einer Rasterfahndung. Der Vorgang werde erst im Februar überprüft, so eine Dix-Sprecherin.

„Mit dieser heimlichen Ausspähung stellt die Deutsche Bahn AG alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unter Generalverdacht“, kritisierten die Grünen-Bundestagsabgeordneten Winfried Hermann und Anton Hofreiter. „Die Grenze der Korruptionsbekämpfung wurde deutlich überschritten.“ Nun müssten die betroffenen Bahn-Mitarbeiter informiert und die Verantwortlichkeiten geklärt werden.

Der FDP-Abgeordnete Horst Friedrich betonte, in der weiteren Aufklärung müsse gefragt werden, inwieweit der Bahn-Vorstand dafür verantwortlich sei. Zur nächsten Sitzung des Verkehrsausschusses würden die Leiter der Konzernrevision und der Konzernsicherheit geladen. Offen sei, ob die erhobenen Daten zur Ausspähung von Kontakten von Mitarbeitern zu Politik, Presse und Bahn-Kritikern verwendet wurden.

Wie die von der Bahn beauftragte Detektei Network Deutschland GmbH, die für Spitzeldienste bei der Telekom eingesetzt wurde, bei der Überprüfung der Bahn-Mitarbeiter vorgegangen ist, lässt sich aus einem Gesprächsprotokoll der Berliner Datenschutzbehörde herauslesen, das diese nach einem Treffen mit verantwortlichen Bahn-Managern am 28. Oktober 2008 verfasste und das der taz vorliegt. Bei der Überprüfungsaktion „Eichhörnchen“ waren demnach die Top-Tausend-Führungskräfte der Deutschen Bahn AG im Visier; geprüft wurden 774 Mitarbeiter und 500 Ehepartner. Für die Überprüfung seien Network personengebundene Daten wie Name, Personalnummer, Anschrift, Telefonnummer und Name des Ehepartner – die Daten der Ehepartner stammten aus einer Datei für verbilligte Fahrkarten – übergeben worden. Network habe in Handelsregistern und Firmendatenbanken recherchiert, um das wirtschaftliche Engagement dieser Personen zu untersuchen.

Die Bahn-Vertreter hätten Wert auf die Feststellung gelegt, dass Telefon-, Bank- und Steuerdaten nicht ausgewertet worden seien, heißt es im Protokoll der Datenschützer. Allerdings seien diesbezüglich keine Vorgaben gemacht worden, entscheidend sei nur das Ergebnis gewesen. „Insofern kann die Deutsche Bahn AG zumindest nicht ausschließen, dass die Network Deutschland GmbH auch Telefonverbindungen, Bank- und Steuerdaten ausgewertet hat.“

Die Bahn wies die Kritik an ihrem Vorgehen zurück. Der Abgleich von Mitarbeiter- und Lieferantenadressen sei rechtlich nicht zu beanstanden, hieß es. „Hieraus einen Spitzelskandal wie bei anderen Unternehmen zu konstruieren, ist maßlos übertrieben“, so Schaupensteiner. Die Bahn sei besonders anfällig gegen Wirtschaftskriminalität und Korruption; die Opfer seien am Ende auch Kunden, Steuerzahler und Mitarbeiter.