In die Verfassung gucken

betr.: „Schilys Polizeireform macht Länder bockig – und ist zum Scheitern verurteilt“, taz vom 19. 6. 04

Den Föderalismus kann man nicht abschaffen, ohne das Grundgesetz abzuschaffen, denn in Art. 20 ist festgelegt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ In Art. 79 (3) ist mit der so genannten Ewigkeitsklausel zudem klargestellt: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“

So einfach ist das also nicht. Christian Rath: „Zwar mag es durchaus Sinn machen, in einem Bundesstaat namens Europa die deutschen Länder mittelfristig abzuschaffen – und somit auch die Polizei dem Bund zuzuordnen.“ Wenn man das weiterdenkt, wird es eines Tages logisch, auch über die Abschaffung anderer Anachronismen (Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat …) nachzudenken.

Die Nazis hatten eine zentrale Polizei, die Weimarer Republik eine dezentrale – daraus lernen wir, dass die dezentrale Organisation sowieso nichts nützt und wir sie gleich zentralisieren sollen, damit die gedachten antidemokratischen Kräfte es nicht mehr zu tun brauchen. Logik? Der Bund ist zwar nicht automatisch repressiver als die Länder, gibt aber die Gesetze z. B. zur Abschiebung vor, in deren Ausführung sich sozialdemokratische und konservative Innenminister der Länder und deren Polizeikräfte dann überbieten.

Wo wir schon mal dabei sind, in die Verfassung zu gucken: Über jede Änderung der Ländergrenzen muss eine Volksabstimmung durchgeführt werden. Auch die Einverleibung der DDR war eine „Neugliederung des Bundesgebietes“ (Art. 29) und hätte der Bestätigung durch Volksentscheid bedurft. KATJA VIEBAHN, Oldenburg