Opferfantasien

Der Historiker Michael Wolffsohn fühlt sich mit seinen Gedanken zur Folter missverstanden und klagt seine Kritiker an

BERLIN taz Michael Wolffsohn fühlt sich als Opfer einer Kampagne. Seit der Historiker im Mai als Gast einer TV-Talkshow bei Sandra Maischberger die Anwendung von Folter in Extremsituationen als „legitim“ bezeichnete, sah er sich harscher öffentlicher Kritik, aber auch einer Flut anonymer E-Mails und Briefe mit persönlichen, oft antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt.

Zwischen diesen beiden Reaktionen mag Wolffsohn nun offenbar nicht mehr unterscheiden: Am gestrigen Freitag beschuldigte er in der FAZ unter dem vollmundigen Titel „J’accuse“ in einem ganzseitigen Beitrag seine Kritiker einer „manipulativen Treibjagd“ gegen ihn, an der „die Spitzen des deutschen Staats mitgewirkt“ hätten. Und, mehr als das: Er sei von Angehörigen der Bundesregierung gezielt „zum Abschuss freigegeben“ worden, so Wolffsohn in der FAZ. Das klingt nach einer handfesten Verschwörungstheorie.

Ob Michael Wolffsohn da nicht ein wenig übertreibt? Zwar hatten tatsächlich mehrere Politiker, darunter die Parteivorsitzenden Angelika Beer und Guido Westerwelle, nach Wolffsohns umstrittenen TV-Auftritt im Mai gefordert, dieser solle seine Lehrtätigkeit aufgeben oder als Hochschullehrer abgesetzt werden, weil er mit seinen Äußerungen nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes stehe. Wolffsohn lehrt an der Universität der Bundeswehr in München Geschichte. Nach einem Gespräch mit Bundesverteidigungsminister Struck, seinem Dienstherrn, fühlte sich Wolffsohn kurz darauf allerdings wieder „völlig rehabilitiert“. Der Minister hatte von jederlei rechtlichen und disziplinarischen Konsequenzen abgesehen, und Drohungen gegen Wolffsohn und seine Familie scharf verurteilt. Damit hätte der Fall nun eigentlich angeschlossen sein können.

Warum also nun dieser pamphletartige Rundumschlag in der FAZ, in dem sich Wolffsohn in die Rolle von Alfred Dreyfus und Emile Zola in Personalunion fantasiert? War es ihm zu ruhig geworden um seine Person? Sicher gab es auch Stimmen, die Wolffsohns Verteidigung der Folter in Ausnahmefällen mit dessen Parteinahme für Israel, insbesondere für die Sicherheitspolitik des jüdischen Staates in Verbindung brachten – so etwa Lorenz Jäger im Feuilleton der FAZ. Doch niemand hat Wolffsohns Haltung ausdrücklich auf dessen Jüdischsein zurück geführt.

Das besorgt, in einer überdrehten Volte seiner Verteidigungsschrift, nun Wolfssohn selbst: Juden und Nichtjuden hätten aufgrund unterschiedlicher historischer Erfahrungen eben auch unterschiedliche Standpunkte zu einem Thema wie Folter, so Wolffsohn in der FAZ: „Wie die Deutschen aus der Geschichte lernten, nie wieder Täter sein und Gewalt anwenden zu wollen, so haben wir Juden gelernt, dass wir Gewalt anwenden müssen, um nicht und nie wieder Opfer zu sein.“

Nun mag es sein, das viele Juden in Deutschland aus Solidarität mit Israel auch dessen Sicherheitspolitik in milderem Licht betrachten als andere. Dem deutsch-jüdischen Verhältnis hat Wolffsohn allerdings keinen großen Dienst erwiesen, indem er ausgerechnet die Debatte um die Folter nun entlang ethnisch-religiöser Linien eröffnet. Und dass er ernsthaft glaubt, damit gleich für ein wie auch immer geartetes Judentum zu sprechen, zeugt von einer gehörigen Portion Hybris. DANIEL BAX