hamburger szene
: Die Liebe zum Buch

Öffentliche Räume haben’s in sich. In meiner Bibliothek etwa gab es diesen Menschen mit der Hose, die ihm, drei Nummern zu groß, in den Knien hing. Auch aus den Bücherregalen griff er nur nach dem Größten, entweder nach einem Schinken wie der 1818-seitigen Abhandlung über die Rolle der Mühle am Unterlauf der Elbe zu Zeiten Christian des IX oder nach großen Namen: Luhmann, Baudrillard, Plessner. Die türmte er als Schutzwall um sich herum. Nur einmal, als er sich nach einem Stift bückte, und ich, auf dem Weg zum Lexikon, weil mir „Paroxysmus“ kein Begriff war, just in dem Moment hinter ihm vorüberging, konnte ich einen Blick auf seinen Schreibblock werfen: Er war bedeckt mit einem wilden Strichmännchenkrieg.

Drei Nummern zu groß für meine Psyche war allerdings ein Vorfall, als ich abends in die Bib ging, um mit Büchern ringsumher einen anstrengenden Tag ausklingen zu lassen. Als ich kurz meinen Blick durch den leeren Raum schweifen ließ, sah ich zwischen den Reihen einen Mann, der, kaum zu glauben, seinen Unterleib in rhythmischen Bewegungen gegen eine Bücherwand stieß! Oh Gott, dachte ich und bohrte meinen Blick in meinen Schreibblock – auf dem gerade ein Strichmännchenkrieg tobte. Bomben explodierten, Raketen stiegen in die Höhe, aber ans Weiterzeichnen war nicht zu denken. „Ein Bibliophiler“, konnte ich nur noch vor mich hinstammeln, ein Bibliophiler, ein Bibliophiler. MAXIMILIAN PROBST