Indiens BJP rückt nach rechts

Nach ihrer Wahlniederlage besinnt sich die bisherige Regierungspartei BJP auf ihre radikale Hindu-Ideologie. Der gemäßigte Expremier Vajpayee kann sich auf dem Parteitag nicht durchsetzen

AUS DELHI BERNARD IMHASLY

Der Kontrast hätte für Atal Behari Vajpayee nicht schärfer ausfallen können. Vor drei Monaten noch war er die unbestrittene Ikone der BJP, das Aushängeschild der Regierungspartei, die alles auf seine Karte setzte, um die Wahlen zu gewinnen. Das Wahlmanifest enthielt nicht weniger als 53 Fotos des Premiers. Als sich die Abgeordneten am Dienstag in Bombay zum ersten Parteitag nach der verlorenen Wahl einfanden, prangten hinter dem Vorstandspult nicht mehr die Bilder Vajpayees und seines Stellvertreters Lal Krishna Advanis, sondern von zwei längst verstorbenen Parteiideologen.

Die Zeit der Abrechnung sei gekommen, sagte Parteichef Venkaiah Naidu. Aber wenn die hindunationalistische BJP nun die kollektive Verantwortung für die Wahlniederlage übernehme, so heiße dies auch, dass der „Virus des Individualismus“ ausgerottet werden müsse. An Stelle einer „individuellen Persönlichkeit“ müsse wieder „Parteibewusstsein, Parteipersönlichkeit und Parteiidentität treten“.

Naidu machte klar, dass dabei mehr als nur eine PR-Strategie über Bord ging. Die Partei habe sich von ihren Wurzeln entfernt, und ihre wichtigste Aufgabe sei es heute, den Schwur auf „Hindutva“ zu erneuern, den ethnisch gefärbten kulturellen Nationalismus der Hindus. Die BJP dürfe nicht vergessen, dass sie Teil einer größeren Familie sei – ein Hinweis auf die ideologische Kaderorganisation des „Nationalen Freiwilligendienstes“ RSS. Der Hardliner der Partei, Exinnenminister Advani, schlug in dieselbe Kerbe. Die Niederlage erkläre sich aus der Vernachlässigung von dessen „ideologischer Anhängerschaft“. Laut Zuhörern des hinter verschlossenen Türen veranstalteten Parteitags habe die BJP einen Teil ihrer Anhängerschaft verloren, weil sie sich als säkulare Partei präsentiert habe. Beide Redner schlossen sich damit der Wahlanalyse des RSS an, der Vajpayees gemäßigte Linie mit seinem Appell an Bürger außerhalb der traditionellen Basis als wichtigsten Grund für die Niederlage gewertet hatte.

Positioniert sich die BJP damit wieder als radikale Hindu-Partei? Dies ist am Ende des dreitägigen Kongresses eine mögliche Schlussfolgerung. Vajpayee selbst hatte im Vorfeld den Parteitag zum Schiedsgericht über die künftige Linie gemacht. In einem Interview vertrat er nämlich die Meinung, er hätte den BJP-Regierungschef von Gujarat, Narendra Modi, wegen der antimuslimischen Pogrome 2002 absetzen müssen. Dies habe der BJP geschadet und müsse beim Parteitag diskutiert werden.

Doch der RSS begehrte auf. Die Frontorganisation VHP riet Vajpayee zum Rücktritt, und aus Gujarat begann eine giftige SMS-Kampagne mit persönlichen Angriffen auf den 80-jährigen Expremier. Gujarat wurde nicht diskutiert, und weder Parteichef Naidu noch Advani gingen darauf ein. Vajpayee machte darauf einen seiner berüchtigten Rückzieher, erklärte Gujerat als „Nichtthema“ und lud Modi zum Frühstück in sein Hotel ein. Vajpayee distanzierte sich von seiner Rücktrittsdrohung und versprach, sich bei kommenden regionalen Urnengängen wieder ins Wahlkampf zu werfen.

Es wäre allerdings zu früh, von einer entscheidenden Rückkehr der BJP auf die harte Hindu-Linie zu sprechen. Vajpayee mochte seine drohende Isolation gespürt haben und ging opportun in Deckung. Dennoch weiß er – und die Wahlresultate haben es gezeigt –, dass eine minderheitenfeindliche Linie keine Dividende bringt und die Partei damit nie allein die Macht verschaffen wird. Sie bleibt daher auf Partner wie jene der bisherigen Koalition angewiesen. Deren Mitglieder verspüren aber gerade nach der jüngsten Wahlniederlage keine Lust, sich vor den ideologischen RSS-Wagen spannen zu lassen.

Auch wenn sich Vajpayee wieder einmal als folgsames RSS-Mitglied zeigte, erwähnte er in seiner Abschlussrede den RSS als geistige Heimat der „Hindu-Familie“ mit keinem Wort. Und er ließ durchblicken, dass „Hindutva“ für ihn gleichbedeutend sei mit einem umfassenderen Nationalitätsbegriff, der alle Religionsgemeinschaften einschließt.