Fast 50 Stunden nur Schule

In Schleswig-Holstein regt sich Widerstand gegen die neue Profiloberstufe. Statt in Kursen lernen die Schüler nur noch im Klassenverband und haben mehr Fächer und Klausuren

VON KAIJA KUTTER

Hamburg beschloss gestern eine neue Profiloberstufe, die in Schleswig-Holstein seit einem halben Jahr Praxis ist. Ursprünglich wollten beide die Reform zeitgleich starten, aber wegen der Wahlen kam es zur Verschiebung. Im Kreis Nordfriesland sind die Eltern so unzufrieden mit der neuen Oberstufe, dass sie eine Rücknahme fordern.

„Wir fanden die alte Studienstufe nicht schlecht“, sagt Elternrätin Yvonne Fritzsche-Nehls vom Hermann-Tast-Gymnasium in Husum. Doch die frühe Spezialisierung in Leistungskurse hat die Politik nicht mehr gewollt. Statt dessen wird, wie einst in den 60ern, im Klassenverband gelernt, nur in Religion und Philosophie gibt es Kurse.

Um die klassische Bildung zu stärken, werden Deutsch, Mathe und eine Fremdsprache je vierstündig unterrichtet und im Abitur geprüft. Zusätzlich gibt es die Wahl zwischen „Profilen“, zu denen je drei Fächer gebündelt werden, meist gibt es ein sprachliches und ein naturwissenschaftliches Profil. Die Schüler wählen eine Profilklasse. Das führte an einem Bad Segeberger Gymnasium dazu, dass es fast wieder reine Jungs- und Mädchenklassen gibt.

Was die Eltern stört, ist der Druck. „Wir haben die Schüler an unseren fünf Gymnasien befragt. Da kam eruptiv hoch, dass sich die Kinder sehr belastet fühlen“, berichtet die Husumer Mutter. Denn es sind schlicht mehr Fächer. Wer ein naturwissenschaftliches Profil wählt, muss trotzdem zwei Sprachen belegen und wer einen sprachlichen Schwerpunkt wählt muss umgekehrt noch Bio oder Chemie bewältigen. „Früher gab es in einem Halbjahr elf Klausuren in 13 Fächern“, rechnet Fritzsche-Nehls vor. „Heute sind es 18 Klausuren in 15 Fächern.“

Zwischen 34 und 37 Wochenstunden habe jeder Schüler, zusätzlich noch Klausurenpauken und Hausaufgaben. Das bedeute „fast 50 Stunden nur Schule“. Dabei hätten die meisten Schüler noch eine Stunde zu fahren.

„Die Belastung ist ernorm“, sagt auch Landesschülersprecher Lennart Beeck. Gab es früher nur zwei Leistungskurse, müssten heute mit Mathe, Deutsch, Englisch und Profil gleich vier Fächer auf hohem Niveau bestanden werden. Und dies, ergänzt Fritzsche-Nehls, nicht in kleinen Kursen, sondern in der Klasse mit 28, 29 Schülern, wo der einzelne „in der Masse untergeht“.

Nicht alle Eltern teilen die Kritik. „Wir hatten früher Leistungskurse mit nur zehn Schülern, für die Lehrer aus der Mittelstufe abgezogen werden mussten“, sagt Elke Krüger-Krapoth vom Landeselternbeirat. „Das können wir Eltern nicht wollen“. Die höhere Stundenzahl sei ein Vorgriff auf die gerade erst gestartete Abitursverkürzung. Die Gymnasiasten seien zeitlich nicht stärker belastet als Altersgenossen in Ausbildung. Trotzdem will der Beirat jetzt eine Umfrage starten.

Und im Kieler Bildungsministerium heißt es, es gebe auch positive Rückmeldungen. „Schüler sagen, es ist schön, wieder im Klassenverband zu lernen“, berichtet Sprecher Sven Runde. „Und Lehrer sagen, es lässt sich im Klassenverband leichter fächerübergreifend unterrichten.“

Und auch in Hamburg erregt die Profiloberstufe derzeit nicht die Gemüter. Die künftigen Profilschüler sind 34-Wochen-Stunden gewöhnt, da sie zugleich erster Jahrgang des 2002 eingeführten Turbo-Abiturs waren. Auch ist das Modell modifiziert. Es soll eine Mischung aus „Klassenverband und Kurssystem“ geben, erklärt Behördensprecherin Annegret Witt-Barthel: „Die neue Profiloberstufe wird zu keiner stärkeren Belastung führen.“