Wohin mit Suhrkamp?
Mediaspree

Der Frankfurter Verlag überlegt, nach Berlin umzuziehen. Prima! Die taz macht schon mal sechs Standortvorschläge

Der Finanzkrise sei Dank: In „Mediaspree“, dem fast vier Kilometer langen Flussabschnitt zwischen Friedrichshain und Kreuzberg, sind noch jede Menge Filetstücke zu haben. Attraktiv wäre etwa die ehemalige Heeresbäckerei, in der Teile der ZDF-Serie „Kriminaldauerdienst“ gedreht wurden. Auf den 9.300 Quadratmetern zwischen Köpenicker Straße und Spree sitzt derzeit vor allem Kleingewerbe. Mit dem Umbau zu Büroflächen soll erst begonnen werden, wenn ein potenzieller Nutzer Interesse an einem „nennenswerten Anteil“ bietet, wie ein Sprecher der Polaris Immobilienmanagement GmbH der taz sagte. „Wir brauchen eine Initialzündung.“

Der Quadratmeter soll zwischen 10 und 13 Euro kosten. Repräsentativ wäre der Industriebau aus dem 19. Jahrhundert allemal. Auf sechs Etagen erstrecken sich Lofts mit großen Fenstern. Zur Spree hin könnten Außenbereiche gestaltet werden, für Gastronomie und Konferenzen. Dort herrscht auch das passende Ambiente für eine zukunftsweisende Ausrichtung: Am anderen Ufer liegen MTV und Universal in Sichtweite; Suhrkamp würde sich als multimediales Unternehmen in spe perfekt einfügen. PEZ

An den Hauptbahnhof

Suhrkamp, schrieb die taz neulich, soll zu seinen Autoren. Das ist richtig und seit kurzem amtlich bestätigt. Im Kulturwirtschaftsbericht des Senats ist zu lesen, jeder zehnte Schriftsteller Deutschlands lebe bereits in Berlin. Umgekehrt bedeutet das freilich, dass 90 Prozent aller Schreiberlinge noch nicht am Prenzlauer Berg hängen. Da käme der Verlagssitz am Hauptbahnhof gerade recht. Außer natürlich dem Thomas-Mann-Wiedergänger Uwe Tellkamp. Der residiert bekanntlich nicht mehr im Dresdner Turmviertel, sondern im beschaulichen Freiburg. Seine Fahrzeit mit der Bahn würde sich von 2 Stunden 11 Minuten auf 6 Stunden 28 Minuten verlängern.

Noch etwas spricht für den Hauptbahnhof. Sind wir nicht alle Nomaden? Wo ließe sich der Fluxus besser symbolisieren als an einem Ort des Durchgangs. Vor allem aber verändert sich die Gegend um den Hauptbahnhof so schnell wie die Suhrkamp-Kultur unter der Chefin Ulla Berkéwicz. Was gestern war, ist heute weg, was heute fehlt, ist morgen da. Warum sich also nicht freuen, die Suhrkampf-Partys bald in Nicolas Berggruens Kunstmuseum steigen zu lassen? Wenn es denn kommt. WERA

Ehemalige jüdische Mädchenschule

Die Vorteile von einem Bezirk wie Mitte liegen auf der Hand. Hier tobt das Leben, auch das intellektuelle. Die Galeriendichte ist hoch, Bohemiens aus aller Welt bevölkern die Straßen. Hier waren einst die Clubs, die Berlins Ruf als Technohauptstadt begründeten. Noch heute gibt es Bars, Cafés und Restaurants en masse. Ein passendes Domizil ist schnell gefunden: Die ehemalige Jüdische Mädchenschule in der Auguststraße steht derzeit leer. Nach dem Krieg war hier eine Oberschule untergebracht, die Graffiti der Schüler kann man noch an den Wänden bewundern. Hier müsste zwar ordentlich renoviert werden, dann aber residierte der Suhrkamp Verlag in einem wunderschönen modernistischen Gebäude. Zugleich würde der Verlag, zu dessen wichtigsten Autoren immer noch Walter Benjamin und Theodor W. Adorno zählen, an jüdische Geschichte anknüpfen. Auch das neue Projekt des Verlags der Weltreligionen fände hier eine würdige Herberge. Die jüdische Gemeinde, der das Haus gehört, könnte sich mit diesem Mieter sicher anfreunden. Der Engel der Geschichte würde eine Pirouette drehen. Und das macht er nicht so oft. GUT

Kolonnaden am Potsdamer Platz

Die Park Kolonnaden im südöstlichen Bereich des Potsdamer Platzes sind wie der Verlag ein architektonisches Gesamtkunstwerk aus Büroflächen, Wohnungen und Ladenflächen. Berühmte Architekten haben daran gebaut: Giorgio Grassi aus Mailand oder das Büro Schweger und Partner aus Hamburg. Der Bau steht leer. Er wartet auf den Suhrkamp Verlag und seine Chefin, Ulla Unseld-Berkéwicz. Der Potsdamer Platz mit seiner baulichen Moderne wäre zudem für den Verlag ideal, könnte er doch das Heimweh an die Stadt der Bankentürme etwas abfedern und zugleich mit dem neuen Klima echter Großstadtluft locken.

Zwischen Espressobars, Einkaufsmalls und Restaurants, der Berlinale und sogar Bahnchef Hartmut Mehdorn (auch Exfrankfurter) lässt es sich hier auch in der Mittagspause gut aushalten. Und hat nicht Unseld-Berkéwicz angekündigt, dass sie das Verlagsprogramm mit jungen, schrillen Menschen aus den metropolen Literaturszenen aufforsten möchte? Der Potsdamer Platz steht für die neue Moden, das kommerzielle Berlin und die Party sowie für das, was Literatur ausmacht: Immer eine gute Geschichte. ROLA

Europarc Dreilinden

Jedes Unternehmen, das sich verkehrsgünstig, im Umfeld neuer Hightech-Firmen und alter, starker Marken ansiedeln möchte, wäre mit Büroräumen auf dem Europarc am rechten Ort: Autobahnanschluss zur A10, zwischen 200 und 3.000 Quadratmeter neue Büroflächen in modernen Glaspalästen und Ebay, Vodafone, Mobil.de oder Porsche als Nachbar. Außerdem: Die Mieten sind hier weniger hoch als in Mitte, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain. Zudem spricht als Standortvorteil, dass im Umfeld viel Suhrkampmäßiges stattfinden könnte, die Wege blieben also kurz.

Fangen wir mit der Wohnsituation für die Mitarbeiter an, die es im nahen Kleinmachnow gaaanz schnuckelig hätten und die, wenn sie zu viel Natur nervt, zu den Autoren nach Berlin reinfahren könnten. Dann ist der Wannsee um die Ecke, Kleist hat sich dort erschossen. Auf Segeltörns oder bei einem Glas in der Strandbar lassen sich die besten Geschäfte mit Autoren abschließen. Nicht weit ist auch das Literarische Colloquium. Außerdem soll Suhrkamp-Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz um die Ecke in Nikolassee bereits eine Villa als Wohnimmobilie für sich gekauft haben. ROLA

Bethanien

Einen Schnelllehrgang in Berliner Verhältnissen kann das ehemalige Krankenhaus Bethanien dem Suhrkamp Verlag bieten. Die bezirkseigene Immobilie am Mariannenplatz hat Charme, wenn auch etwas abgenutzt. Ein Raum ist Theodor Fontane gewidmet, der hier als junger Apotheker arbeitete. Ende 2009 will das Künstlerhaus Bethanien aus dem Nordflügel ausziehen, nachdem es sich sowohl von den Besetzern, die seit 2005 im Südflügel wohnen, als auch von den Beschlüssen des Bezirks, das Haus als soziokulturelles Zentrum zu definieren, vor den Kopf gestoßen fühlte.

Der Gesellschaft für Stadtentwicklung (GSE) obliegt es nun, einen solventen und kulturaffinen Mieter zu finden. Da bietet sich der Suhrkamp Verlag doch geradezu an. Zumal sich auch andere bisherige Mieter den neuen Mietforderungen der GSE nicht gewachsen fühlen.

Für Suhrkamp wäre hier viel von dem zu lernen, was das Leben in Berlin so verlangt: Umgang mit Besetzern, Bürgerinitiativen und Bezirksbürgermeistern. Bleibt nur die Frage, ob der Verlag das mit dem soziokulturellen Auftrag hinkriegt, den jeder zukünftige Mieter des Hauses erfüllen muss. KBM