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: HELMUT HÖGE über die Grüne Woche

„Der Skilift zeigt im Januar, wo früher das Bauernland war“ (Allgäuer Spruchsammlung)

Die Berliner Agrarmesse Grüne Woche, die es seit 1926 gibt, ist ein Spiegel bäuerlicher Trends und landwirtschaftlicher Diskurse. Das erste Mal besuchte ich die Grüne Woche 1969, um mich dort, wie die meisten Westberliner, kostenlos satt zu essen. Die von der BRD subventionierten Länderpräsentationen, etwa von Marokko, Israel, Argentinien, protzten mit riesigen Stapeln leckerer Früchte, Schinken und anderer Lebensmittel, weswegen man auch von einer „Fressmesse“ sprach. Einige Jahre später kam es ob der Auswüchse der chemisch-industriellen Landwirtschaft zu Protestständen – außerhalb der Messe. Agrarkritiker sprachen von der „Giftgrünen Woche“.

Aber dann wurden der SPD-Mann und Agrarkrimi-Autor Hans-Jürgen Petersen und der grüne Agronom Ulli Frohnmeyer Leiter der Messe, und immer mehr Bio- und Ökostände füllten die Hallen. Frohnmeyer bespielt heute die Halle der Ministerin für Landwirtschaft, Petersen ging in Rente. Zum Abschied bekam er eine Ehrenplakette des Deutschen Bauernverbands, weil „er die Marke Grüne Woche stets mit aktuellen landwirtschaftlichen Themen bestückt“ hat, wie es in der Laudatio hieß. Tatsächlich bemühte er sich zum Beispiel bereits 1989 erfolgreich um eine erneute Teilnahme der ostdeutschen Landwirtschaftsbetriebe. Eine der 1991 umgewandelten LPG-Betriebe, die Agrar GmbH Schmachtenhagen, mietete dann sogar eine ganze Halle.

Heute geht es statt ums Fressen und Saufen immer mehr um Wissen und Aufklärung. So schnibbeln Achtjährige Obst und Gemüse klein, um in Reagenzgläsern die verschiedenen Vitamine zu isolieren. Und am Stand des „BUND – Freunde der Erde“ wird vorgeführt, wie man aus Mais Plastiklöffel herstellt. Außerdem kann man anhand von zwei nahezu identisch aussehenden Mittagsgerichten raten, wie viele Kilometer die Bestandteile – Fleisch, Kartoffeln, Gemüse, Nachtisch und Rotwein – zurückgelegt haben. Das eine Gericht wurde im Umland Berlins zusammengekauft, das andere in einem Supermarkt. Ersteres summierte sich auf 400 Kilometer, letzteres auf 35.000.

Neuerdings macht die Grüne Woche zunehmend der Tourismusbörse Konkurrenz, weil sich dort immer mehr Regionen vermarkten, zusammen mit „Ferien auf dem Bauernhof“, „Dorf-Events“ und den Ökobauern als Landschaftspfleger. Beim Rundgang durch die Hallen bemerkte ich aber auch: Wir bewegen uns rasant auf eine „intelligente Landwirtschaft“ zu. Zum einen lohnen sich die wenigen EU-Bauern für die agrochemischen Konzerne bald nicht mehr als Kunden. Zum anderen ist diese immer größere und Hightech-aufgemotzte Agrartechnik einfach zu blöd geworden. Das ganze unselige deutsche Ingenieurdenken ist an ein Ende gekommen.

Stattdessen geht es in der Landwirtschaft um immer subtilere Anbau- und Züchtungsmethoden. Der Avantgarde geht es um Permakulturen, Klein- und Stadtgärten, Diversifizierung, Mischwälder, Wiederversumpfung, kurz: um Renaturierung. Bald werden wir auch den dämlich-utilitaristischen Darwinismus und mit ihm die ganze Gentechnik als Grobschmiede des Kreatürlichen überwunden haben. Klasse statt Masse! Zu dumm, dass ich fast mein ganzes Leben in dieser scheußlichen Phase der industriellen Landwirtschaft verbringen musste.