Bis nach Ungarn: Der großserbische Traum wird wiederbelebt – und belächelt

Wenn er gewinnt, will Tomislav Nikolić sein Reich ausdehnen. Karlobag–Karlovac–Mitrovica soll Grenzlinie sein. Betroffene Nachbarn reagieren mit Spott, Besorgnis und Freude

SARAJEVO taz ■ Tomislav Nikolić’ Visionen sorgen in Kroatien für Unverständnis und Spott. In einem Interview hatte der serbische Präsidentschaftskandidat gesagt, dass Serbien weit nach Norden ausgedehnt werden solle. Mehr als die Hälfte Kroatiens und ganz Bosnien und Herzegowina würden dann zu Serbien gehören, die dalmatinische Küste um Dubrovnik und Split eingeschlossen. „Ich werde von dieser Grenze träumen, so lange ich lebe“, sagte Nikolić.

In Kroatien fragt man sich, warum Leute wie Nikolić nichts aus der Geschichte gelernt haben. Die Grenzlinie Karlobag–Karlovac–Mitrovica zu erreichen war das militärische Ziel der serbisch-jugoslawischen Aggression im kroatischen Krieg 1991. Dieser serbische Traum sei doch nach dem militärischen Sieg der Kroaten 1995 ausgeträumt, so der Tenor in der Öffentlichkeit. Wolle Nikolić einen neuen Krieg vom Zaume brechen?

Den in Zagreb lebenden Politikprofessor und Menschenrechtler Zarko Puhovski, der sich immer wieder für die Rechte der serbischen Minderheit in Kroatien einsetzt, überrascht diese Position nicht. „Die von den Massenmedien und den Machthabern produzierte nationalistische Psychose ist noch nicht aus den Köpfen verschwunden.“ Die Politiker wüssten allerdings ganz genau, dass das gegenüber der internationalen Gemeinschaft nicht durchzusetzen ist. Es gehe hier nur um Stimmenfang.

Auch der demokratischer Gegenkandidat Boris Tadić sei nicht frei von nationalistischen Äußerungen, er spiele nur mehr nach der Melodie des kroatischen Premierministers Ivo Sanader, „nach außen modern und moderat, nach innen national“. Der Kroate Puhovski sieht in Nikolić trotz der Ankündigungen keine direkte Bedrohung für die Nachbarländer.

In Bosnien liegen die Dinge etwas anders. Die offizielle Politik hält sich mit Kommentaren zurück und hofft auf den Sieg von Tadić. In der nichtserbischen Bevölkerung aber bekommt es mancher mit der Angst zu tun. Ein Hausbesitzer an der ehemaligen Frontlinie in Sarajevo hat kürzlich eine Mauer aus Granitsteinen gebaut, um sein Haus vor Angriffen der serbischen Seite zu schützen. Er nimmt Nikolić’ Äußerungen ernst, der rede so wie damals die Kriegsverbrecher Karadžić und Mladić.

„Bei einem Wahlsieg Nikolić’ könnten sich die falschen Leute in der bosnisch-serbischen Teilrepublik im Aufwind fühlen“, befürchtet der ehemalige Premierminister des Landes, Haris Silajdzić. Andererseits würden jedoch die Serben insgesamt von internationaler Seite mit Gegenwind zu rechnen haben. Erst in den letzen Wochen haben die Europäische Union, die USA, der Europarat und große westliche Länder die 6,5 Millionen Wahlberechtigten in Serbien ermahnt, sie müssten sich „zwischen Europa und neuer Isolation“ entscheiden. Die Wahl von Nikolić gefährde die Integration Serbiens in internationale Strukturen.

Diese Worte wurden auch in Montenegro und im Kosovo gehört. In Montenegro fühlten sich bei einem Sieg des serbischen Extremisten diejenigen Politiker, die für die Unabhängigkeit des Landes von Serbien eintreten, bestätigt. Wird Nikolić Präsident, so glauben sie, wäre wohl eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit unvermeidlich. Aus dem gleichen Grund freuen sich die Kosovoalbaner. Ein serbischer Präsident Nikolić würde die Position der Albaner im internationalen Kontext stärken, erklären auch diplomatische Quellen in Priština.ERICH RATHFELDER