Die Wahl zwischen zwei Welten

In Serbien tritt ein großstädtischer, strahlender Reformer gegen einen extrem nationalistischen Populisten an. Entscheiden wird die Beteiligung

AUS BELGRAD ANDREJ IVANJI

Fesch, sportlich gekleidet und selbstsicher, schreitet der 46-jährige Boris Tadić mit erhobenen Händen auf die Bühne im Zentrum Belgrads. Der „Platz der Republik“ ist voll. Tausende Menschen begrüßen den neuen Hoffnungsträger des „modernen, prowestlichen“ Serbien. Die Stimmung ist gelassen, die Leute sind gut gelaunt. Es ist nichts von der Verbissenheit zu spüren, die über ein Jahrzehnt Wahlkämpfe in Serbien charakterisierte.

Auf der Bühne stehen Tadić Frau, seine zwei Töchter und die Witwe des im Vorjahr ermordeten Premier Zoran Djindjić. Bekannte Schriftsteller, Musiker, Sportler und Schauspieler werben für den gut aussehenden Politiker und Frauenliebling mit dem knabenhaften Gesicht und grauem Haar. Ein amerikanischer Präsidentschaftskandidat könnte seinen Auftritt nicht besser inszenieren.

„Am Sonntag werden die Bürger Serbiens eine Botschaft in die Welt schicken“, donnert Tadić warnend. Diese Botschaft werde lauten: Vorwärts nach Europa, oder zurück in die Isolation. Für Serbien seien diese Präsidentschaftswahlen ein Referendum: für oder gegen die EU. Tadić’ Anhänger, vorwiegend junge Menschen, jubeln. Ein Publikum, das man auf Rockkonzerten trifft. Der Leader der Demokratischen Partei (DS) führt überzeugend in den Großstädten. Auf dem Land ist das anders. Tadić ist der Prototyp eines westlichen Politikers. Der Diplompsychologe wirkt dort zu westlich und intellektuell für den serbischen Geschmack.

Eine höhere Wahlbeteiligung vergrößert die Chancen Tadić, eine niedrigere die des 52-jährigen Tomislav Nikolić, dem Kandidaten der ultranationalistischen „Serbischen Radikalen Partei“ (SRS). Denn die Nikolić-Anhänger gelten als zuverlässige so genannte Betonwähler, die Parteigänger von Tadić dagegen als wenig berechenbar.

Allerdings könnte die ausgesprochene Feindseligkeit einzelner Parteien im „demokratischen Lager“ Tadić’ zum Verhängnis werden. Die meisten Medien und Parteien unterstützen Tadić, der auffallend mehr Geld für seine Wahlkampagne zur Verfügung hatte, als Nikolić. Selbst der nationalkonservative Premier Vojislav Koštunica nahm sich zusammen und rief – zähneknirschend und halbherzig – seine Anhänger auf, Sonntag für seinen ärgsten politischen Gegner Tadić zu stimmen. Der Wahlstab der DS versucht, alle demokratischen Kräfte zu mobilisieren und eine Art „französischer Situation“ zu schaffen, wo sich alle politischen Kräfte gegen den Rechtsextremisten Le Pen vereinigten, und Jacques Chirac einen überzeugenden Sieg ermöglichten.

Doch Serbien ist nicht Frankreich, und das weiß auch Nikolić. Der Radikale pendelt unermüdlich durch Serbien mit dem Slogan „Einer gegen alle“. Er spricht todernst von der „vernichtenden Verbindung“ der Politik und des organisierten Verbrechen, die er sprengen würde. „Finanzielle Interessen“ würden seine Kontrahenten im Kampf gegen ihn vereinigen, einem einfachen, ehrlichen Manne aus dem Volke. Der persönlich „saubere“ Tadić, ist belastet von Machenschaften und Korruptionsaffären einzelner Funktionäre seiner DS.

Nikolićc zeigt sich stets in abgetragenen Anzügen. Er wirkt bescheiden, ernst, lächelt nur selten und gibt sich sehr gottesfürchtig. Die nationalistische, kriegshetzende Rhetorik aus der Milošević-Ära hat Nikolić durch soziale Demagogie ersetzt. Er zeigt auf Politiker wie Tadić in „Tausend-Dollar-Anzügen“, und fragt, woher sie das Geld für solchen Luxus hätten, während das sozial ruinierte Serbien mit über einer Million Arbeitslosen hungere.

Die Privatisierung bezeichnet Nikolić als eine „Plünderung“, die Auslieferung von Serben an das UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen als eine „Sünde“. Der Radikale präsentiert sich als friedliebender Kosmopolit, der jedoch stolz auf seine Kampferfahrung im Krieg für das Serbentum ist und nun mit „politischen Mitteln“ die Grenzen Großserbiens zeichnen möchte. Mangelnde Mittel für Wahlkampf und Werbespots ersetzt Nikolić durch einen unermüdlichen Fußmarsch durch Serbien.

Es gibt viel Folklore bei seinen Auftritten. Die Besucher seiner Massenkundgebungen sind größtenteils Konsumenten der serbischen Volksmusik, Menschen, die die Hallen in Serbien bis zum letzten Platz füllen, wenn Sängerinnen wie die Volksdiva Ceca Raznatović – die Witwe des berüchtigten serbischen Freischärlerkommandanten Zeljko Raznatović Arkan – auftreten.

Am Sonntag wählt Serbien zwischen zwei Welten: den europäischen Integrationsprozessen und dem nationalen Isolationismus.

Der Ausgang der Präsidentenwahl bestimmt nicht nur die internationale Lage Serbiens, sondern auch die innenpolitische Entwicklung. Denn die Tage der serbischen, von Milošević-Sozialisten unterstützten, Minderheitsregierung sind jedenfalls nach der vernichtenden Niederlage des Regierungskandidaten in der ersten Wahlrunde gezählt.

Ein Sieg Tadić’ würde die apathisch gewordenen Reformkräfte wachrütteln, die enttäuschten, von der Transition betroffenen, verarmten, und von unzähligen, diversen Wahlen müden Bürger könnten wieder Hoffnung schöpfen.

Ein Sieg Nikolić’ würde den Weg für die triumphale Rückkehr der rechtsnationalistischen Kräfte auf die politische Szene Serbiens ebnen.