Fesselnd ohne große Klasse

Deutschlands Mehrkämpfer bewegen sich bei der Olympia-Qualifikation in Ratingen auf allenfalls zweitklassigem Niveau. Dennoch entwickelte sich ein spannender Wettbewerb

So hoch Spannung und Dramatik aber auch waren es bewegte sich alles auf sportlich niedrigem Niveau

AUS RATINGENJOACHIM MÖLTER

Es war nicht beabsichtigt, aber am Sonntag testeten die Leichtathleten eine neue Wettkampfform – die des Verfolgungsrennens, das im nordischen Skisport ja schon sehr populär ist. Nur 75 Punkte lagen die vier besten deutschen Siebenkämpferinnen auseinander bei der Olympia- Qualifikation des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) in Ratingen, bevor es in die letzte Disziplin ging, den entscheidenden 800-Meter-Lauf. Karin Ertl (München) ging als Führende hinein, Sonja Kesselschläger (Neubrandenburg) folgte als Zweite, dahinter kamen Claudia Tonn und Lilli Schwarzkopf (beide aus Paderborn) – und der Zufall wollte es, dass Schwarzkopf die beste Läuferin dieses Quartetts war und Ertl die schlechteste und die Differenz zwischen ihren Bestzeiten in Punkten umgerechnet auch noch ungefähr die besagten 75 ergab. Es war alles gerichtet für ein spannendes Finale um die maximal drei Startplätze bei den Olympischen Spielen im August in Athen.

Auf die dürfen Sonja Kesselschläger (6.193 Punkte), Claudia Tonn (6.169) und Karin Ertl (6.165) die meisten Ansprüche erheben; die traurige Vierte war Lilli Schwarzkopf trotz persönlicher Bestleistung von 6.161 Punkte. Eine Chance will Bundestrainer Klaus Baarck der 20-Jährigen freilich noch geben: Wenn sie beim Europacup nächste Woche noch ein deutlich besseres Ergebnis erzielt.“ Dann wird noch mal diskutiert, dann könnte Karin Ertl noch Platz machen müssen, denn bis zur endgültigen Nominierung am 19. Juli ist ja noch Zeit.

Auf eine weitere Chance beim Europacup in Tallinn hofft auch der Zehnkämpfer André Niklaus aus Berlin . Der WM-Achte von Paris 2003 hatte sich bereits am Samstag beim Hochsprung eine Schleimbeutelverletzung im linken Knie zugezogen und dann vergebens versucht, den Wettkampf zu Ende zu bringen. Die Schwellung behinderte ihn dann doch zu sehr und zwang ihn am Sonntag nach dem Diskuswurf zur Aufgabe. „Das Knie ist zum Kinderkopf mutiert“, sagte Niklaus.

Der Zehnkampf der Männer dauerte bei Redaktionsschluss noch an. Mit dem Uerdinger Dennis Leyckes, Florian Schönbeck (Regensburg), Sebastian Knabe (Berlin) und Stefan Drews (Ahrenburg) befanden sich nach dem Stabhochsprung gleich vier Athleten auf 8.000er Kurs – gleichbedeutend mit der Olympia-Norm. So hoch Spannung und Dramatik aber auch waren angesichts ständiger Führungswechsel im Klassement und zwischenzeitlicher Ausfälle – es bewegte sich alles auf einem niedrigen sportlichen Niveau.

Der DLV hat ja die Qualifikationsnormen im Vergleich zu früher deutlich gesenkt, bei den Siebenkämpferinnen von 6.180 Punkten auf 6.080, bei den Zehnkämpfern gar von 8.180 auf 8.000. Und damit sind die DLV-Athleten doch schon ein ganzes Stück von der Weltspitze entfernt. Nach den Rücktritten von Siebenkämpferin Sabine Braun (2002, nach ihrem zweiten Platz bei der EM) und Zehnkämpfer Frank Busemann (2003) hat der DLV keinen Mehrkämpfer mehr, der international vorne mitmischen könnte. „Als Sabine Braun vor zwei Jahren aufgehört hat, dachten wir, die Jüngeren rücken nach. Aber das Vakuum ist geblieben“, stellte Bundestrainer Klaus Baarck (Neubrandenburg) ernüchtert fest. Sein Männer-Kollege Claus Marek (Kamp-Lintfort) hat das gleiche Problem, seit die Ära des Olympia-Zweiten Busemann beendet ist: „So eine Zeit wird auch in den nächsten zwei Jahren nicht kommen. Aber in vier, fünf Jahren können wir vielleicht wieder zur Weltspitze dazugehören.“

Bis dahin sollen die deutschen Athleten bei den internationalen Meisterschaften wenigstens Anschauungsunterricht bei den Großen nehmen, und deswegen erleichtert der Verband ihnen ja auch die Teilnahmebedingungen. „Wir hatten dieses Qualifikations-Niveau schon einmal“, erinnert Marek; Mitte der siebziger Jahre war das, „auch damals hatten wir eine Saure-Gurken-Zeit – bis dann Guido Kratschmer kam und andere nachgezogen hat, Jürgen Hingsen zum Beispiel oder Siegfried Wentz“. Auf diesen Effekt hofft er nun wieder, ähnlich wie der Kollege Baarck. „Wenn mehrere Frauen über 6.000 Punkte kommen“, hatte er am Samstag gesagt, „dann haben wir den ersten Schritt getan.“