Fanbotschafter in offizieller Mission

Selten waren fußballerische Großereignisse gewaltloser als die EM in Portugal. Als Mitglied eines neuen, durch die UEFA finanzierten Fanprojekts arbeitet Heiko Schlesselmann im Dienste aller Fans und trägt so zu friedlicher Stimmung bei

von OKE GÖTTLICH

Ein bisschen Neid darf sein. Welcher Fußballfan wünschte sich nicht, in offizieller Mission bei der Europameisterschaft in Portugal zu sein. Heiko Schlesselmann, Mitglied des Fanladens St. Pauli, darf die Privilegien eines Funktionärträgers genießen. Als Mitglied der unter anderem vom Schweizer und Deutschen Fußball-Verband finanzierten Projektarbeit der Europäischen Fußball-Union (UEFA) analysiert er die Sicherheitsmaßnahmen, Anreisemöglichkeiten und örtlichen Begebenheiten für die Fans und bietet mit 50 KollegInnen aus Italien, Frankreich, England, Holland, Tschechien, der Schweiz und Deutschland den EM-Touristen Hilfestellungen aller Art, die für weitere Großereignisse ausgewertet werden sollen.

Auch diesem Projekt ist es zu verdanken, dass gut zwei Wochen nach dem Beginn der Fußball-EM die Polizei eine positive Zwischenbilanz gezogen hat und den Fans Fair Play bescheinigt. Im taz-Interview erklärt Schlesselmann, warum die EM bisher so friedlich ablief und welche Erkenntnisse für die anstehenden Großereignisse in Deutschland zur WM 2006 und in der Schweiz und Österreich zur EM 2008 gewonnen wurden.

taz: Erklären Sie uns doch bitte mal, wie man als Fan in offizieller Funktion zu fußballerischen Großereignissen kommt.

Heiko Schlesselmann: Die haben Praktiker aus den Ländern gesucht. Der Ruf des Fanladens St. Pauli war gut genug, dass ich beim internationalen Team mitarbeiten durfte. Daraufhin habe ich mich beim Dachverband Football Supporters International beworben. Mit der Einschränkung, dass ich keine aktive Betreuung der deutschen Fans machen wollte.

Das hat sich ja frühzeitig erledigt. Worin besteht Ihre Aufgabe dann? Fußball gucken?

Natürlich gehört auch die Beobachtung der Spiele zum Aufgabenbereich. In erster Linie arbeite ich in der Koordinationszentrale. Dort beraten wir, wie die Fanbetreuung vor, während und nach den Spielen aussehen kann. Beispielsweise richten die Fanbetreuer der einzelnen Länder vor jedem Spiel Fanbotschaften ein. Dort können Fans sich treffen, neueste Informationen abholen oder ihre Fragen und Probleme loswerden.

Müssen diese Botschaften aufgrund von Fanfeindschaften nicht mit Bannmeilen ausgestattet werden?

Im Gegenteil. Das Angebot wurde von allen Fans sehr gut aufgenommen und führte sogar zu dem Erfolg, dass wir zum Spiel Tschechien gegen Deutschland erstmals beide Fanbotschaften direkt nebeneinander aufstellen durften und nur positive Erfahrungen damit machten.

Das hört sich alles sehr friedlich an?

Dazu trägt auch die unauffällige Polizeiarbeit bei. Statt mit Hundertschaften an den großen Plätzen der Spielstätte zu patroullieren, ist hier in jeder Hinsicht Deeskalation angesagt.

Dabei wird den Zuschauern vor dem Fernsehschirm suggeriert, es gäbe Fan-Auseinandersetzungen? Meldungen von 70 Randalierern in Südportugal wurden ebenfalls verbreitet.

Neben der EM ist Portugal im Sommer von Hunderttausenden von Urlaubern aus Holland und England und Deutschland bevölkert. Diese Form der Randale gibt es jedes Jahr, hat aber nichts mit Fußballfans zu tun. Wie heiß die Medien auf vermeintliche Hooligan-Bilder sind, ist mir auch erst durch meine Arbeit hier bewusst geworden. Bei noch so kleinen Provokationen waren plötzlich zehn Kameras vor Ort.

Was für eine Erwartung hat die europäische Fußball-Union an dieses Projekt?

Wir erarbeiten nach jedem Spiel Protokolle und Reports, die der UEFA zur Verfügung gestellt werden. Daraus werden Erkenntnisse abgeleitet, die den kommenden Großereignissen zur WM 2006 und in Österreich und der Schweiz zur EM 2008 als Standards zu gute kommen sollen. Wenn die UEFA denn will...

Was für Fan-Probleme haben die Offiziellen bislang nicht im Griff gehabt?

Angefangen von banalen Dingen wie chaotischen Situationen in der Anfahrt in Lissabon und Porto, bis hin zu größeren Themen wie dem Ticket-Schwarzmarkt.

Gibt es da Lösungsansätze für die Zukunft?

Die Probleme, die es hier mit dem Schwarzmarkt gab, dürfen sich nicht wiederholen. Professionelle Händler wurden von der Polizei in Ruhe gelassen. Stattdessen gab es zum Beispiel einen Fall, in dem ein Deutscher verhaftet, mit 1000 Euro Strafe und einem Jahr Stadionverbot belegt wurde, obwohl er nur mit dem Ticket auf seinen Freund gewartet hat. Es müssen Tauschbörsen eingerichtet werden.

Die gibt es in Portugal nicht?

Nein, die Fanbotschaften durften keine einrichten. Wenn man sich vorstellt, dass man Karten 15 Monate im voraus ordern muss, ist das absurd. Zu dem Zeitpunkt kann man noch gar nicht wissen, wie viele Karten man braucht und ob man da überhaupt noch Lust auf Fußball hat. Es muss wenigstens die Möglichkeit geben, die Tickets zum Selbstkostenpreis weiter zu verkaufen. Da muss die UEFA einlenken.

Kommen Sie bei den ganzen Aufgaben überhaupt noch zum Fußballgucken?

Ja. Gestern habe ich mir Griechenland gegen Frankreich angeschaut. Das war mit Abstand das langweiligste Spiel der EM bisher. Nach einer Zeit sprangen die Fans auf und sangen nur „Portugal, Portugal“ und „England, England“, weil keiner Bock auf das Spiel hatte. Das ist überhaupt das Schönste bei der EM: Nach den Spielen treffen sich manchmal sieben Nationen auf den großen Plätzen der Städte. Nachdem alle ihr eigenes Repertoire gesungen haben, geht das ganze in Portugal-Rufe über, weil alle Fans von der Gastfreundschaft Portugals beeindruckt sind.

Aber es kann nur einer Europameister werden.

Ich glaube, Tschechien kann es spielerisch schaffen. Aber mein Wunsch wäre Portugal. Gern erinnere ich mich an ein T-Shirt beim Spiel Portugal-England: „If you don‘t want the uro, you won‘t get the Euro.“ Ein schönes Motto für diese kontinentalverbindenden Meisterschaften.