„Senator Kusch schadet der Sicherheit“

Der Strafvollzugsexperte Gerhard Rehn, ehemaliger Leiter der sozialtherapeutischen Anstalt in Altengamme, warnt vor den fatalen Folgen eines Umbaus der Hamburger Gefängnisse. Und: Die Umstrukturierung verstoße gegen das Strafvollzugsgesetz

Interview: Marco Carini

Zehn Jahre lang, von 1984 bis 1994, leitete der Soziologe Gerhard Rehn (66) die sozialtherapeutische Anstalt Altengamme, bevor er als Leiter der Abteilung Vollzugsgestaltung der Justizbehörde den Hamburger Strafvollzug mit formte. Nach der Pensionierung kümmerte sich Rehn als Beirat der Vollzugsanstalt Fuhlsbüttel um die Belange von Häftlingen. Mitte Juni trat er aus Protest gegen die angekündigte Schließung der sozialtherapeutischen Anstalten in Bergedorf und Altengamme und des Altonaer Moritz-Liepmann-Hauses von dem Ehrenamt zurück.

taz: Herr Rehn, warum Rücktritt?

Gerhard Rehn: Der spontane Rücktritt war ein Akt der Verzweiflung, weil mit der Schließung der drei Einrichtungen der traurige Höhepunkt einer verfehlten Politik erreicht wird. Der Justizsenator ist durch fachlichen Rat offensichtlich nicht erreichbar. Es ist mir unbegreiflich, wie ein Einzelner ungehindert so schnell so viel Schaden anrichten und wertvolle Teile eines Strafvollzugssystems zerstören kann, das über Jahrzehnte mühsam aufgebaut wurde.

Sie beklagen die „durch Senator Kusch verursachten Fehlentwicklungen im Hamburger Strafvollzug“. Was meinen Sie damit?

Da sind die Halbierung der Plätze im offenen Vollzug, ein repressiver Umgang mit Drogenkonsumenten, der Abbau von Vollzugslockerungen und nun der radikale Angriff auf den Behandlungsvollzug zu nennen. Eine solche Politik zerstört Brücken zu Gefangenen, die ihnen die Rückkehr in ein straffreies Leben ermöglichen sollen. Sie führt zurück in die lebensfremde Welt des halbmilitärisch geordneten Verwahrvollzuges.

Ist das noch gesetzeskonform?

Diese Umstrukturierung verstößt gegen Geist und Wort des Strafvollzugsgesetzes, welches bestimmt, dass der offene Vollzug der Regelvollzug ist.

Wozu dient offener Vollzug?

Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges soll entgegengewirkt werden, indem die Verhältnisse in den Anstalten soweit wie möglich an die Verhältnisse draußen angeglichen werden. Das bedeutet, dass man die Anstalten für Besuch öffnet und Vollzugslockerungen wie Ausgang und Urlaub gewährt, sobald das verantwortbar ist. Nur so können die Gefangenen auf die Zeit nach der Entlassung vorbereitet und selbständig werden. Die Zahl der Lockerungen wurde aber seit 2001 um mehr als ein Drittel runtergefahren. Wer heute Lockerungen bekommen will, muß sich hochdienen und darf sich nicht zeigen, wie er ist. Damit werden die Gefangenen unberechenbarer.

Der Senator sieht aber durch Vollzugslockerungen dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung zu wenig Rechnung getragen.

Solche populistischen Parolen helfen niemandem. Wenn nur angepasste Gefangene in den Genuss von Haftlockerungen kommen, die anderen aber aus einem repressiven Vollzug unvorbereitet entlassen werden, besteht die Gefahr, dass sie lebensuntüchtiger und aggressiver sind, als sie vorher waren. Gefängnisse sind dann wieder Schulen des Verbrechens.

Welche Rolle spielen hierbei die sozialtherapeutischen Anstalten und der Übergangsvollzug?

Vor allem die sozialtherapeutischen Anstalten sind für besonders behandlungsbedürftige Gefangene, im Wesentlichen solche mit gravierenden Vorstrafen, vorgesehen. Sie haben ganzheitliche Behandlungsmethoden entwickelt und sind in ihre jeweiligen Umgebungen gut eingebettet. Die Wirksamkeit spezieller Therapien ist nur in einem therapeutischen Milieu zu erreichen. Das ist inzwischen durch Rückfalluntersuchungen bestätigt worden. Wer hinter diesen Wissensstand zurückgeht, zeigt entweder Unkenntnis oder eine nur auf Wegsperren und Vergeltung setzende Haltung.

Was wird die in Hamburg eingeschlagene Linie für konkrete Konsequenzen haben?

Mehr Gefangene als je zuvor werden nicht mehr vernünftig auf das Leben in Freiheit vorbereitet. Die Sicherheit für die Bevölkerung nimmt damit ab.

Wie hat sich das Klima in den Anstalten verändert?

Nach meiner Beobachtung gibt es viel Resignation unter den Häftlingen und sehr vielen Mitarbeitern. Die Gefahr, dass sich die Perspektivlosigkeit für Gefangene in Aggressivität oder sogar in Unruhen entlädt, nimmt zu. Bei den Mitarbeitern, die sich in ihrer schwierigen Arbeit nicht anerkannt und respektiert sehen, kann dies schädliche Auswirkungen auf ihr Engagement und ihre Einstellung zu den Gefangenen haben.

Herr Kusch will die sozialtherapeutischen Anstalten nicht schließen, sondern sie den großen Gefängnissen angliedern.

Dieses Konzept ist zum Scheitern verurteilt. Wir brauchen intensive Behandlungsangebote für Straftäter, bei denen man mit den Mitteln des Regelvollzuges nicht weiterkommt. Dazu braucht man selbständige, räumlich abgekoppelte Angebote, damit therapeutische Ansätze nicht durch die traditionellen Organisations- und Sicherheitserfordernisse des Regelvollzuges eingeebnet werden. Jede Lösung, die zur Angliederung der Sozialtherapie an die geschlossenen Anstalten führt, macht hier eine vernünftige Arbeit aus einem Guss unmöglich. Die Menschen müssen aus der Subkultur des geschlossenen Vollzugs raus.