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Der Torpedokäfer

Bevor das Wort „Kneipenkommunist“ fiel, war es eigentlich ganz ruhig und gewöhnlich im Torpedokäfer. Die Zeitschrift Gegner feierte mitsamt ihren Vorgängerblättern zehnjähriges Jubliläum, Bert Papenfuß und Mitstreiter hatten zur Lesung in ihre Lieblingskneipe geladen, den ehemaligen Hort von Untergrund und intellektuellem Widerstand in Prenzlauer Berg während der DDR-Zeit.

Die Lesenden gaben ein Gruppenbild mit Rauschebärten und Dame am großen, runden Tisch neben dem Eingang. Zwei Mikros, kein Wasserglas. Dafür hatte sich jeder der fünf oder sechs Herren bereits zwei Weizenbiere in den Bauch gestellt. Dazu wurde entspannt geguckt und eine Zigarettenfabrik runtergeraucht. Der mit dem längsten Bart begann dann mit der Lesung, der Mann am Büchertisch (auch Bart) winkt die nächsten Gäste durch, der Eintritt ist frei.

Auf einem Plakat das Wort KÄFERVOLK. Es wird immer voller, die Lesung schleppt sich mühsam dahin, Nostalgie droht. Dann ergreift der Herausgeber das Handmikro und textet irgendwas Politisches in den Raum. Jetzt kommt es endlich zum Skandal. Eine Frau in Punklook, die bislang still hinten gesessen hatte, krakeelt plötzlich: „Geh doch nach Sibirien!“, und eben: „Kneipenkommunist.“ Kurz entsteht Unruhe. Die Frau wird angenervt mit Namen begrüßt. Sonst passiert nichts. Die Lesung geht einfach weiter, die Frau wird still und geht. Was allgemein mit einer Scheibenwischergeste kommentiert wird.

Nach diesem Moment werden die Texte besser, lustiger und offener, die Dame am Tisch entpuppt sich als virtuose Lyrikerin, großer Applaus. Das Käfervolk schnurrt zufrieden. Der dichtende Untergrund lebt noch.

RENÉ HAMANN