Nur eine gewisse Wut

Gut einen Monat nach der Bekanntgabe des Sanierungsplans ist die Stimmung im Erzbistum auf dem Tiefpunkt. Frust und Enttäuschung machen sich breit: Nur „Verrückte“ sähen die Krise noch als Chance

von PHILIPP GESSLER

Pfarrer Martin Rieger spielt mit: Na ja, meint er, hier am expressionistisch gestalteten Altar seiner Kirche St. Augustinus für ein Foto etwas platt die leeren Taschen aus der Hosen zu ziehen, um die Finanznot des Erzbistums zu versinnbildchen – das gefalle ihm nicht so. Aber er könne, schlägt der verbindliche 35-Jährige vor, ein leeres Kollektekörbchen in der Hand halten. In seiner eindrucksvollen Kirche voller Bauhaus-Ästhetik lächelt er dazu in die Kamera. Eben hat der sportlich braune Geistliche noch scherzend ein Yuppie-Pärchen, das er duzt, auf der Dänenstraße in Pankow bis zur nächsten Sitzung des Ehevorbereitungskurses verabschiedet. Das Erzbistum ist in der Krise, klar. Doch wer Rieger beobachtet, fragt sich schnell: Welche Krise?!

Wegen jahrelangen Missmanagements der Kirchenspitze sitzt die Diözese Berlin mit Verbindlichkeiten in Höhe von 150 Millionen Euro in der Schuldenfalle. Nach Beratung durch die Unternehmenssanierer von McKinsey hat Kardinal Georg Sterzinsky die Notbremse gezogen und einen rigiden Sparplan verkündet: Der sieht im Kern den Abbau von rund 400 der ungefähr 2.700 Vollzeitstellen des Bistums vor – betroffen sind über 600 kirchliche Mitarbeiter. Auch den Institutionen geht es an den Kragen: Bis Mitte kommenden Jahres soll die Zahl der Gemeinden von derzeit 207 auf 106 fast halbiert werden.

Seit die Pläne vor gut einem Monat offiziell verkündet wurden, ist die Stimmung im Erzbistum endgültig in den Keller gerutscht. „Desolat“ nennt sie etwa Susanna Schmidt, die Direktorin der Katholischen Akademie, die ebenfalls mit Kürzungen zu kämpfen hat (siehe unten). Viele der rund 400.000 Kirchenmitglieder seien „sehr hilflos“, meint sie, manche „in gewisser Weise schizophren“: So müsse man einerseits jeden Tag aus den Medien erfahren, wo sonst noch gekürzt werde. Andererseits gebe es das Bedürfnis nach Identifikation. Das führe zu „Verwirrung“, zumal man vor der Sparorgie nicht geistig-theologisch durchdacht habe, wo der Kern des eigenen Auftrags liege.

„Frust und Enttäuschung“, so sagt es Michael Franz, habe sich in seiner Gemeinde St. Judas Thaddäus in Tempelhof breit gemacht. Das Kirchenvorstandsmitglied, von Beruf Senatsbeamter, empört vor allem, dass die Sparpläne ohne direkten Kontakt mit der Kirchenbasis verordnet worden seien: Die Kirchenleitung trage die Schuld, die Basis müsse leiden. „Existenzängste“ gäbe es bei den nichtpriesterlichen Angestellten seiner Gemeinde, die mit Herz Jesu fusionieren soll. Die Kürzungen kämen bei Organisten dem „Zerschlagen einer ganzen Berufsgruppe“ gleich. Auch der Pfarrer, der im Dezember sein 40-jähriges Priesterjubiläum feiere, werde „fast aus dem Amt gefegt“, sagt der engagierte Laie: Das sei ja beinahe „frühkapitalistisch“. In der Gemeinde herrsche „eine gewisse Form von Wut“.

„Aufgeheizt“ nennt Pater Norbert Josef Just aus St. Georg in Pankow die Stimmung. Er beklagt die „brutale Methode“ der Sanierung: Dies sei „ein ganz schmerzhafter Vorgang“. Es gebe in der Gemeinde eine „stille, innerliche Verwundung“. Durch die Fusion mit der Gemeinde Maria Magdalena Ende April kommenden Jahres werde wohl bei den Küstern und Organisten gespart: „Da hängen auch Familien dran.“ Er selbst soll im kommenden Jahr nach der Fusion in Pension gehen, obwohl er sich mit 68 Jahren noch fit fühlt.

Noch offener redet Bernd Krause, Pfarrer der Gemeinde St. Josef in Weißensee: Die Gemeinden müssten nun ausbaden, was die Kirchenleitung verbockt habe: „In jedem Wirtschaftsunternehmen müsste die Führung gehen.“ Es herrsche das Gefühl eines „absoluten Vertrauensbruchs“: Gerade treuen Mitarbeitern werde bei der Sanierung „in den Hintern getreten“. Man könne nicht alles ehrenamtlich machen: „Irgendwann hat das Ehrenamt seine Grenze.“ Und geradezu „hinterhältig“, ja „eine Frechheit“ sei es, dass die Gemeinden nun selber zu regeln hätten, wie viele und welche Leute sie noch anstellen könnten. Aber gebe es nicht auch Leute, die im Sparen zugleich die Chance zum Neuanfang sähen? „Verrückte gibt es überall“, meint der 46-jährige Priester trocken.

Offenbar gehört Pfarrer Rieger zu diesen „Verrückten“. Auch seine St.-Augustinus-Gemeinde wird fusionieren: mit der Heiligen Familie, die gut einen Kilometer entfernt liegt. Der dann gemeinsame Mitarbeiterpool werde von derzeit von 5,03 auf 2,17 Stellen gekürzt. An Entlassungen werde man wohl nicht vorbeikommen können, meint der dynamische Jungpriester. Allerdings ist er seit Anfang des Jahres sowieso schon für beide Gemeinden verantwortlich. Das Handy ist immer am Mann.

Die Kirchenleitung kritisiert der Pfarrer nicht. Er habe sie vielmehr als „kooperativ“ empfunden. Etwas Kritik schimmert jedoch durch, als Rieger von einer „oktroyierten Umstrukturierung“ redet. Er wolle nichts beschönigen. Aber man müsse den Prozess des Umbruchs gestalten – er wolle nicht an der Kirchentür „Antidepressiva verteilen“.

Riegers Gemeinde boomt, sie liegt in einem In-Bezirk der Hauptstadt. Die Zahl der Gemeindemitglieder hat sich in zehn Jahren auf heute über 5.200 etwa verdoppelt. Die Hälfte von ihnen ist unter 35 Jahre. Es gebe immer wieder neues, ehrenamtliches Engagement, etwa ein „philosophisches Café“, eine theologische Studiengruppe und einen Lesezirkel – „niedrigschwellige Angebote“, nennt Rieger dies. „Hier ist Leben“, schwärmt er. Pfarrer Rieger spielt mit.