eine nation heult auf von RALF SOTSCHECK
:

Langsam fängt die Fußball-Europameisterschaft an, Spaß zu machen. Die Fußball-Zwerge, außer Deutschland, stellen den Favoriten ein ums andere Bein und senden sie nach Hause. Dort aber lauern schon die Analytiker, vor allem in England. Nirgendwo sonst gibt es solch scharfzüngige und weichhirnige Experten wie im „Mutterland des Fußballs“ (englisches Sprichwort).

Nach englischen Niederlagen ist es höchst vergnüglich, sich die Palette der Ausreden zu Gemüte zu führen. Nach dem letzten portugiesischen Elfmeter am Donnerstag heulte eine ganze Nation auf – das konnte man bis Dublin hören, nachdem das irische Gelächter verebbt war. Die Expertenrunde beim Fernsehsender ITV war sich einig: „England ist von einem Schweizer Bankier bestohlen worden“, meinte Ian Wright, ein pensionierter Fußballer von schlichtem Gemüt, der glaubt, dass Schiedsrichter Urs Meier wie alle Schweizer eine kleine Bank besitzt. Dass dem Tor von Sol Campbell kurz vor Schluss ein klares Foul seines Kollegen John Terry vorausgegangen war, hat in England niemand gesehen, weil alle vor Aufregung ihr warmes Bier verschüttet hatten. Die „beste Mannschaft“ (englisches Sprichwort) sei aus dem Turnier ausgeschieden, wimmerte Terry Venables, der englische Günter Netzer fürs Stammtischpublikum.

Der Mirror wies darauf hin, dass „rumänische Hexen im vorigen Jahr Schiedsrichter Meier mit einem Fluch belegt“ haben, weil er fünf Minuten nachspielen ließ und die rumänische Mannschaft deshalb gegen Dänemark verlor. Die Sun, das Fachblatt für Hooligans in Sport und Politik, veröffentlichte gleich einen Steckbrief des „schiedsrichternden Idioten“ und fragte: „Wie kann man einen Mann pfeifen lassen, dessen Land wir in der Vorrunde gedemütigt haben?“

Englands großartiger Komiker Marty Feldman hat das schon vor mehr als 20 Jahren vorausgeahnt: In einem Sketch verlor England gegen eine obskure osteuropäische Mannschaft. Feldman als Fußballreporter machte aus dem Schweizer Schiedsrichter, der natürlich schuld war, zunächst einen „deutsch-schweizerischen Schiedsrichter“, dann einen in der Schweiz lebenden Deutschen und beim Abpfiff einen direkten Nachfahren eines SS-Kommandanten.

Genau das haben sich Wright, Venables und Konsorten am Donnerstag vermutlich auch vorgestellt. Außer dem Schiedsrichter sind aber noch ganz andere Dinge schuld. Ein Reporter behauptete allen Ernstes, dass sich der Elfmeterpunkt just in dem Moment bewegt habe, als Beckham seinen Fehlschuss ablieferte. Haben die Portugiesen etwa dressierte Maulwürfe eingesetzt? Hat der Reporter zu viel warmes Bier getrunken? Den möglichen Hinweis, dass die Portugiesen ja vom selben Punkt aus schießen mussten, entkräftete der Reporter prophylaktisch: Die Portugiesen schießen lasch wie Mädchen, da kommt es auf den Rasen nicht so an.

Dabei müssten die Engländer diese Situation doch allmählich gewohnt sein, schließlich scheiden sie alle zwei Jahre aus der Europa- oder Weltmeisterschaft aus – meist durch Elfmeterschießen. Aus einem Schweineohr kann man eben kein Seidenportemonnaie machen (altes irisches Sprichwort).