Ringsum wuchert der Wald

Auch in Deutschland ruft die Wildnis und weht durchaus ein Hauch von Abenteuer. Zum Beispiel im Havelland – nordwestlich von Berlin. Ein zweitägiger Wanderritt mit Kompass, Picknick und Fontane

Dinkelsalat mit Schafskäse, frisch gebackenes Brot. Und dann: Siesta

von S. TILLERT

Es ist ein etwas mühsamer Weg nach Mon Caprice. Doch er lohnt sich. Ein Abstecher, der eigentlich nicht eingeplant war. Doch bei einem so wohlklingenden Namen? Da kann man schlecht Nein sagen. Fontane dürfte es ähnlich gegangen sein, als er vor knapp 150 Jahren auf seiner Wanderung nach Schloss Hoppenrade hier vorbeikam, an dieser Ansammlung von Häusern mitten im Wald. Hierher führt nicht einmal brandenburgtypisches Katzenkopfsteinpflaster. Hierher führt nur feinster märkischer Sand. Was den Namensgeber wohl bewog, dieses Fleckchen Erde so zu nennen? Caprice – französich für Laune, Leidenschaft, Liebelei. Und wer er wohl war?

Er war eine Sie. Fontane hat’s herausgefunden. Etwa zu der Zeit, als in Frankreich die Revolution tobte, hatte die Schlossherrin von Hoppenrade, die so genannte „Krautentochter“ – und by the way eine brillante Schwimmerin – hier einen kleinen Badetempel errichten lassen, für sich und ihre weiblichen Gäste aus Berlin. Über das Treiben an dem Tümpel schrieb Fontane später: „Alles war Lust und das Leben ein Feiertag.“

Na bitte, in so einer romantischen Umgebung lässt es sich gleich doppelt gut picknicken. Also sucht sich die vierköpfige Wanderreitgruppe ein schattiges Plätzchen im Birkenhain und deckt den „Tisch“ mit den Köstlichkeiten aus den Satteltaschen: Dinkelsalat mit Schafskäse, frisch gebackenes Brot, ein schöner reifer Brie zum Abrunden. Und dann: Siesta. Sigrid, die sonst ihre Arbeitstage im Auswärtigen Amt verbringt, und Klaus, der Herr Ingenieur aus Oer-Erkenschwinck, streifen ihre Schuhe ab und schlafen friedlich ein. Derweil wacht Sabine, die Rittführerin, neben ihnen und schaut mit unbeweglichem Trapperblick in die Ferne. Nur das Summen der Insekten ist zu hören.

Noch sind Wanderreiter mit Landkarte und Kompass am Sattelknauf in deuschen Landen eher selten anzutreffen. Doch immer mehr Pferdefreunde wissen zu schätzen, dass man nicht erst nach Frankreich, dem Ursprungsland des Wanderreitens, reisen muss, um jenes viel zitierte Gefühl von Glück und Freiheit erleben zu können.

Die Gruppe erholt sich ein wenig vom Vortag. Der sollte eigentlich ein gemütlicher Einstieg in die zweieinhalbtägige Tour durchs Löwenberger Land werden – stattdessen entwickelte er sich zu einer abenteuerlichen Bewährungsprobe. Denn Wanderreitführerin Sabine Zuckmantel hat vor allem eine Leidenschaft: unbekannte und immer noch schönere Strecken erkunden. „Bei mir muss es immer das sein, was noch keiner gemacht hat“, gesteht die 38-Jährige, die aus Nordrhein-Westfalen stammt und in Berlin Romanistik und Philosophie studiert hat. Als sie ihre Wanderreit-Prüfung ablegte, musste sie eine Reitgruppe durch die Vogesen führen – nur mit Hilfe von Karte und Kompass. Darauf ist sie heute noch stolz, denn die Vogesen gelten als besonders schwieriges Gelände. Ihr großer Traum: „Zu Pferd einmal rund um die Ostsee.“

Doch an diesem Freitagnachmittag geht es erst einmal von Hohenbruch aus, wo Sabines sieben Wanderreitpferde stehen – die meisten davon Berber und Araber-Berber –, rund um den nördlich gelegenen Lindesee. Oder eben auch nicht. Durch das Schleuener Luch und die Beetzer Heide gelangt die Gruppe nach knapp drei Stunden zum See. Rechts funkelt das Wasser in der Abendsonne, links wuchert der Wald. Mit vier Pferden und vier Reitern ist es gar nicht so einfach, auf einer so schmalen und zugewachsenen Strecke möglichst leise zu sein. Doch besser wäre es, signalisiert die Rittführerin. Denn die Angler auf dem See sollen möglichst nicht mitbekommen, dass sich gerade eine Reitergruppe dort im Gebüsch den Weg bahnt. In Brandenburg herrscht – noch – ein sehr strenges Reitwegegesetz, das nach der Wende aus dem dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen übernommen wurde. Reiten darf man eigentlich nur dort, wo es ausdrücklich durch Hinweisschilder erlaubt ist. Das soll bald anders werden, vermutlich bereits im Herbst, erzählt Sabine Zuckmantel. Dann darf endlich überall geritten werden – nur dort nicht, wo es ausdrücklich verboten ist.

Das Projekt Lindesee scheitert schließlich. Der Weg wird immer morastiger, die tapfere Haflingerdame Laura versinkt fast bis zum Bauch. Und über die von Spaziergängern zusammengelegten Baumstämme ist kein Weiterkommen. Also den ganzen Weg zurück, diesmal im zügigen Tempo. Die Waldkreuzungen sehen plötzlich alle ziemlich gleich aus. „Sind wir von dort oder von da gekommen?“ Zum Glück ist der Kompass dabei. Da, endlich eine menschliche Behausung! Und die erfeuliche Auskunft: „Nein, nach Linde ist es nicht mehr weit, nur noch ein paar Kilometer.“ Dorthin, genauer zu Bauer Pfitzmann, geht es im „Jog“, einem gemütlichen Trab. Ein beeindruckender Hof in diesem winzigen Dorf: 60 Pferde stehen hier, 30 aus eigener Zucht (Brandenburger), und exakt 103 Mutterkühe. Und für diese Nacht vier Wanderpferde, die übrigens trotz der flotten 25 Kilometer offenbar immer noch nicht müde sind. Die Reiter dafür umso mehr. Übernachtet wird im nahen Löwenberg.

Der nächste Tag führt durch einen einzigen großen Lenné-Landschaftspark. In Vergessenheit geratene Alleen, die zu Fontanes Zeiten wohl noch von Postkutschen befahren wurden, gewaltige Solitär-Eichen und alte Kastanienbäume, dann wieder kleine Kanäle, die den Blick auf die weiten Wiesen freigeben. Der königliche Gartenarchitekt hätte wohl „Sichtachse“ gesagt. Dazu ein warmer Wind. Es duftet nach Heu und Weißdorn. Und über alledem kreist, nein, kein Storch, sondern ein kreischendes Kranichpaar. Vorbei an Schloss Hoppenrade und Gutengermendorf, weiter durch märchenhafte Erlenbruchgebiete zum Großen Lanke-See und dann nach Schloss Liebenberg – ebenfalls eines der „Fünf Schlösser“ aus Fontanes Wanderungen. Hier direkt am See, im aufwändig renovierten Seehaus, wird übernachtet. Diesmal also das Luxusprogramm. Am nächsten Tag ist es immer noch genauso heiß. Deshalb kehrt die Reitergruppe in Nassenheide beim „Nassen Heiden“ ein und trinkt – sehr sinnig – erst mal ein Radler. Und die Pferde? Die werden mit ausdrücklicher Erlaubnis des Wirts am altersschwachen Biergartenzaun angebunden. „Macht nüscht. Den muss ick eh neu machen. Und die Linde dürft ihr och rund fressen, so lange ihr ran kommt.“ Es gibt also nicht nur mürrische Märker.

Das letzte Picknick vor der Rückkehr zum Stall findet beim Biber am Ruppiner Kanal statt. „Achtet mal auf die Baumstämme“, sagt Sabine Zuckmantel beim Festbinden der Pferde. Und tatsächlich: Wie im Bilderbuch überall Stämme, die rundherum angenagt sind. Diesmal gibt es Hirschsalami, Ziegenbrie und Oliven. Paddelboote ziehen vorbei. Das Wasser gluckert leise, und irgendwo dahinten ruft ein Kuckuck. So hört sich Glück an, auch wenn der olle Fontane gesagt hat: „Das Glück – kein Reiter wird’s erjagen!“ Erjagen will hier auch keiner was. Nur genießen.

Info: www.wanderreiten-havelland.de, kontakt@wanderreiten-havelland.de Tel. (0 33 04) 25 32 28