Die Burg auf dem Balkon

Reformagenda 20/03 – Teil 4: Der Strand ist unerreichbar teuer? Kein Problem. Holen Sie sich die Sandburg doch nach Hause. taz-Bauanweisung unter Anleitung einer Sandskulpturenkünstlerin

von SUSANNE LANG

1. Form follows function!

Sandburgen sind wie alle Burgen höchst funktionale Bauwerke. Am Strand genauso wie zu Hause. Eine Burg repräsentiert. Funktion entscheidet über Form. Dies gilt vor allem für Hobby-Sandburgologen. Option eins: Nachbar neidisch machen, Revier klar abstecken. Klarer Fall für eine Viertürmeburg mit Familienwappen und Burgfräulein. Option zwei: Drang zur Selbstverwirklichung ausleben, in Urlaubsgefühlen schwelgen. Klarer Fall für die einwändige Burg. Egal welches Modell, Grundlage für eine gute Sandburg ist die Skizze. Auch Sandskulpturenkünstlerin Lena Tempich aus Berlin baut nie ohne. „Man braucht eine Vorstellung von Proportionen und Dimensionalität“, erklärt die gelernte Theaterplastikerin. Der Trick: Malen Sie die Grundrisse auf Papier. Und zwar aus zwei Perspektiven: Seitenansicht und Vogelperspektive. Denn eine Sandburg wird von oben nach unten gebaut.

2. Sanding!

Mit Sandburgen verhält es sich wie mit einem guten Kuchen. Sie sollten nicht zu fest und nicht zu locker sein. Entscheidend ist deshalb: der Sand. Dessen sollte man zuallererst genau prüfen. Denn orginal Strandsand hat runde Körner, Sand aus der Baumarkt-Bastleroase dagegen eckige. Der Trick: „Meersand klebt nur mit Salzwasser gut zusammen“, erklärt Tempich. Für die Kiessandburg auf dem Balkon reicht gewöhnliches Leitungswasser. Achtung beim Lehmgehalt des Sandes! Ist er zu hoch, findet man sich beim unfreiwilligen Töpfern wieder. Als Bewässerungswerkzeug dient alles, was spritzt und sprüht. „Für die langen Bewässerungsphasen ist ein Gartenschlauch praktisch, bei der Feinarbeit kleinere Sprühflaschen“, rät Tempich. Bleibt die Frage nach der Menge. Die Richtlinie: für eine 80 x 40 x 40 Kubikzentimeter große Sandburg acht Eimer Sand.

3. Compacting!

Jetzt beginnt die Kunst: Um den Sand formfest zu machen, wird er in Holzverschalungen zusammen gepresst: aus vier Spanholzbrettern ein Viereck zusammenstecken, Sand hinein geben, Wasser darauf schütten. Warten bis es versickert ist. Vorgang so oft wiederholen, bis der Sand feucht ist. Der Trick: Mit einem Stampfwerkzeug den Sand nun „compacten“, wie Sandkünstler den Vorgang nennen. Verdichten also. Ist der Sand hart, nimmt man die Holzverschalung ab. Für Erstlinge empfiehlt Tempich nur eine Lage. Sandkünstlerinnen wie sie bauen auf Wettbewerben mehrere Verschalungen übereinander, in Pyramidenform. An der Spitze beginnt dann die Burgenkunst. „Sandkunst ist ein abtragendes Verfahren“, erklärt Tempich. Vergleichbar mit Bildhauerei. Im Gegensatz zum Töpfern, wo modelliert und geformt wird, spachtelt und kratzt und klopft man Stücke ab. Die Pyramidenform erklärt sich aus praktischen Gründen. Um nach oben an die Spitze zu gelangen, braucht man am Rand kleinere Treppenstufen. Achtung für Balkonsandologen: Abstand zum oberen Nachbarbalkon unbedingt vor der Bauphase prüfen!

4. Carving!

Das Sandburgenbauen braucht wie jede Kunst auch einen kunstvollen Namen: „Carven“, zu deutsch „schnitzen“. Was sich in Indien oder China längst zum Volkssport gemausert hat, wird auch in Deutschland beliebter. Den ersten internationalen Sandskulpturenwettbewerb gab es bereits, im Juni in Berlin. Die Faszination: „Sand ist einfach geil“, schwärmt die Künstlerin. Leicht zu bearbeiten und wenig materialaufwendig. Mit dem Spachtel kratzen, mit dünnen Drähten bohren, Durchbrüche aushöhlen, Stücke lockern und abschneiden, mit Zahnbürsten, Eisstielen oder Gabeln Details gravieren, mit Strohhalmen feine Sandreste wegpusten, und fertig ist die Sandburg. Der Tipp: Der indische Sandskulpturen-Superstar Sudarsan Pattnaik kratzt mit extralangen Fingernägeln. Nur beim Festival in Berlin musste er nach einem Tag auf Hilfsmittel zurückgreifen. Der Sand war dichter als sonst, die langen Nägel nach einem Tag abgefeilt. Für Balkon-Sandkünstler heißt das: Klebenägel aus dem Kosmetikladen tun’s auch. Bleibt noch der Feinschliff. Sprühen Sie Familienwappen oder sonstige Insignien mit Farbe auf den getrockneten Sand und stecken Sie eine Fahne in einen Turm. Achtung: nicht zu tief, auch Sandburgen haben eine Statik!

5. Conserve it!

Nur ein Trick: Auf altbewährte Schutzvorrichtungen zurückgreifen! Lena Tempich sagt: „Einen Sonnenschirm aufspannen oder ein paar Schutzfolien, die den Regen abhalten.“ Zwei Wochen hält die stolze Burg bestimmt. Tempichs Philosophie: „Sandkunstwerke haben etwas Vergängliches und für mich daher etwas Attraktives.“