DIE KRITIK DER GEWERKSCHAFTEN AN DER SPD IST VERLOGEN
: Der falsche Gegner

So redet nur einer, der selbst in Bedrängnis ist: „Gerhard Schröder ist gescheitert“, verkündete Ver.di-Chef Frank Bsirske am Wochenende. Das mag schon sein – aber als Gewerkschafter ist Bsirske in diesen Tagen nicht dazu berufen, sich genüsslich über den Misserfolg anderer zu verbreiten. Schließlich ist sein Metall-Kollege Jürgen Peters kurz zuvor grandios gescheitert: Der Mann, der noch im Vorjahr die Arbeitszeit im ganzen Land verkürzen wollte, musste bei Siemens der Rückkehr zur 40-Stunden-Woche zustimmen.

Gegen ihren eigentlichen Widerpart, das Unternehmerlager, kommen die Gewerkschaften in Zeiten wirtschaftlicher Schwäche und internationalen Konkurrenzdrucks kaum noch an. Weil sie das selbst wissen, haben sie einen neuen Gegner ins Visier genommen – ihren einstigen Verbündeten, die SPD. Auf die gebeutelte Partei, die in Sachsen gar um den Wiedereinzug in den Landtag bangt, hauen sie nach Kräften ein. Das ist ziemlich billig. Als ob die Arbeitnehmer aufatmen könnten, wenn die Kanzlerin erst Angela Merkel heißt und der Vizekanzler Guido Westerwelle. Doch genau auf dieses Duo hoffen die Gewerkschaftsbosse. Wenn Merkel erst die Kopfpauschale einführt oder den Kündigungsschutz weiter demontiert, sind die Fronten endlich wieder klar. Dann können Ver.di oder IG Metall die Massen mobilisieren, statt am 1. Mai schlappe Reden zu halten. Dann werden ihre Anhänger zu hunderttausenden auf die Straße gehen, ganz so, wie die Kollegen in Rom oder Paris gegen ihre konservativen Regierungen protestiert haben.

Eine kluge Strategie erwächst aus dieser Chaos-Taktik freilich nicht. Das Land wäre durch den Konflikt paralysiert, auch zum Schaden der Arbeitnehmer. Anders als Bsirske oder Peters offenbar glauben, würde die Schuld daran nicht automatisch der CDU-Chefin zugeschoben. Die Kritik an den Gewerkschaften, derzeit wegen des Reformdebakels ein wenig verstummt, käme womöglich mit voller Wucht zurück. Das jedenfalls zeigt die Erfahrung aus England, wo der kompromisslose Kurs des Gewerkschaftsführers Arthur Scargill die Politik einer Eisernen Lady namens Margaret Thatcher erst richtig populär machte. RALPH BOLLMANN