Schafft ein, zwei, viele Pinochets

Argentinischer Richter erlässt Haftbefehl gegen 45 Schergen früherer Militärdiktaturen. Wenn jetzt noch Präsident Kirchner die Amnestiegesetze des Landes ändert, könnte es zu einer Massenauslieferung nach Spanien zwecks Prozesses kommen

aus Buenos Aires INGO MALCHER

Es wäre ein gigantischer Gefangenentransport über den Atlantik. Ein argentinischer Bundesrichter hat am Donnerstag einen Haftbefehl gegen 45 ehemalige Mitglieder der argentinischen Militärdiktatur ausgestellt. Der Richter Rodolfo Carnicoba Corral folgte damit einem Gesuch der spanischen Justiz, die wegen Verbrechen während der Militärdiktatur (1976–83) Antrag auf Auslieferung der Militärangehörigen gestellt und internationalen Haftbefehl erwirkt hatte. Als die Haftbefehle am Donnerstag bei Interpol in Buenos Aires auf den Tisch kamen, ordnete Carnicova Coral die Festnahmen an.

Sein spanischer Kollege Baltasar Garzón, der bereits den chilenischen Exdiktator Augusto Pinochet in London hat festsetzen lassen, will die Militärangehörigen in Spanien vor Gericht stellen. Garzón wirft den argentinischen Unterdrückern in seinem Haftbefehl „mehrfachen Mord, das Zufügen von Verletzungen, Folter“ vor. Pikant für Regierung und Justiz: Neben den einstigen Junta-Mitgliedern Jorge Videla und Eduardo Massera steht auch der gewählte Bürgermeister der im Nordwesten gelegenen Stadt Tucumán, Antonio Bussi, auf der Wunschliste von Garzón. Außerdem hat der Diktatorenjäger die Auslieferung zahlreicher niedriger Schergen beantragt, die Gefangene verschleppt und gefoltert haben sollen.

Noch sind die 45 Militärangehörigen vor einer Auslieferung an Spanien sicher. Ein Präsidialdekret von 2001 untersagt die Auslieferung von Personen, die in Argentinien bereits verurteilt wurden. Viele wurden bereits wegen ihrer Verbrechen in Argentinien verurteilt, später jedoch durch zwei Amnestiegesetze in die Freiheit entlassen. Allerdings prüft die Regierung von Präsident Néstor Kirchner, das Dekret zu kassieren. Schon seit einigen Wochen arbeiten Regierungsjuristen daran, das Auslieferungsverbot zurückzunehmen. „Man darf das Thema nicht ideologisieren, die Justiz muss vernünftig arbeiten“, gab Kirchner als Linie für den Fall der Auslieferungen vor. Doch erst kürzlich sagte er bei einer Kabinettssitzung, dass er mit dem Thema keine Eile habe.

Aber Kirchner hat offenbar noch andere Pläne parat. Während seines Staatsbesuchs in den USA sagte er in einem Interview mit der Washington Post am Donnerstag, seine Regierung plane, die Amnestiegesetze zurückzunehmen, die den Schergen der Militärdiktatur Straffreiheit zusichern. In Argentinien seien Menschen während der Diktatur ermordet und gefoltert worden, „nur weil sie anders dachten“, so Kirchner.

Wenig begeistert von solchen Ankündigungen sind Teile der argentinischen Streitkräfte. Verteidigungsminister José Pampuro hatte Kirchner bereits vor Wochen wissen lassen, in den Kasernen beobachte man seine neue Linie im Umgang mit der Vergangenheit mit Sorge. Als Reaktion auf die Haftbefehle vom Donnerstag befahl Pamupro daher den Generälen, die Justiz zu respektieren und die Vorgaben des Richters „zu erfüllen“. Trotz der Haftbefehle kam es bis gestern noch zu keiner Festnahme.