„Die Jungen müssen sich selbst durchsetzen“

Generalsekretär Olaf Scholz über den verpassten Generationswechsel in der SPD, den Politikstil der 68er um Schröder und Scharping,die Gefahr des Scheiterns junger Genossen und das Gefühl, als 45-jähriger Politiker noch als Nachwuchshoffnung durchzugehen

taz: Herr Scholz, fühlen Sie sich eigentlich noch als junger Politiker?

Olaf Scholz: Ich weiß, dass ich noch zu den jungen Politikern gezählt werde. Aber ich kenne 25-Jährige, die das ganz anders sehen.

Sie sind 45 Jahre alt. Es spricht nicht gerade für die SPD, dass Sie da noch als Jungspund durchgehen.

Die SPD muss sich nicht verstecken. Wir haben viele junge Politiker in unseren Reihen. Schauen Sie sich nur unsere Bundestagsfraktion an. Dort sind fast 40 Abgeordnete im Alter von Mitte 20 bis Ende 30. Wir haben auch zahlreiche junge Bezirks- und Landesvorsitzende.

Und Sie haben auf Bundesebene fast nur Spitzenpolitiker, die zwischen Mitte 50 und Ende 60 sind.

Wir werden die SPD und ihre Führung weiter verjüngen müssen, das ist ganz klar. Das wird sich auch im nächsten Bundesvorstand und im Parteipräsidium niederschlagen. Es bietet sich die Chance, eine junge Frau zur stellvertretenden Parteivorsitzenden zu wählen. Mit mir und der neuen Stellvertreterin wären dann schon zwei Jüngere in der engsten SPD-Führung. So wird es in den nächsten Jahren weitergehen. Es geht nicht, dass immer nur die Gleichen die Verantwortung tragen.

So einfach ist das: Da gibt es einen Beschluss, und schon wird die SPD jünger und frischer?

Natürlich reichen da keine Parteitagsbeschlüsse. Das muss im Kopf jedes Einzelnen sein, vom Ortsvorstand bis zum Parteivorsitzenden. Alle tragen Mitverantwortung dafür. Wir müssen uns heute schon darum kümmern, dass in 20 oder 30 Jahren neue Politikerinnen und Politiker die SPD vertreten.

Das akzeptieren die vielen alten Genossen?

Ja. Sie empfinden das nicht als Bedrohung von außen. Als Volkspartei gewinnen wir unsere Kraft doch dadurch, dass wir mit den neuen Fragen, die das Leben immer wieder aufwirft, durch unsere eigenen Mitglieder konfrontiert werden. Wir brauchen keine Shell-Studie, um zu wissen, was junge Leute denken. Wir haben sie in unseren Reihen.

Es wirkt immer reichlich komisch – die SPD ist da keine Ausnahme –, wenn ältere Herren zwischen fünfzig und sechzig einen Generationswechsel in den Parteien fordern. Das klingt so wohlwollend. Gleichzeitig wird den Jungen damit immer gezeigt, wo der Hammer hängt.

Eine Verjüngung, die nur paternalistisch daherkommt – so nach dem Motto: Wir Älteren sorgen jetzt dafür, dass ihr Jüngeren auch mal rankommt –, ist nicht wirklich hilfreich. Die jungen Politiker müssen sich schon selbst durchsetzen. Dazu gehört, dass sie sich trauen müssen, Führungsaufgaben zu übernehmen. Und dazu gehört ebenfalls, dass der eine oder andere Junge auch scheitern kann.

In der SPD-Führung von heute sitzen fast nur Achtundsechziger, die sich seit dreißig Jahren kennen und alle Posten unter sich aufgeteilt haben. Haben die Schröders, Scharpings und Wieczorek-Zeuls bei der Verjüngung der SPD versagt?

Es ist schwierig im Nachhinein zu richten, wer etwas richtig und wer etwas falsch gemacht hat. Tatsache ist aber, dass der Verjüngsprozess in der SPD aufgehalten worden ist. Die Partei hat nicht rechtzeitig auf diese Herausforderung reagiert.

Das ist schön neutral formuliert. Das tut keinem weh.

Es ist nun mal nicht so, dass politische Prozesse immer kontinuierlich ablaufen. Daran sind auch nicht immer die handelnden Personen schuld. Die Generation der SPD-Politiker, die Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre in die Politik gegangen ist, hat nun mal fast zwanzig Jahre gebraucht, bis sie in Spitzenämter gekommen ist. Da war wenig Platz für die nächste Generation.

Junge SPD-Politiker tun sich jetzt zusammen, weil sie begriffen haben, dass sie sich nicht darauf verlassen können, von den Alten gefördert zu werden. Begrüßen Sie das?

Ich begrüße die Bereitschaft der Jungen, mehr Verantwortung zu übernehmen und dafür zu kämpfen. Zusammenschlüsse in der Partei gehören zur Wirklichkeit, auch dieser. Aber die SPD, das darf ein Generalsekretär sagen, lebt davon, dass sie zusammenhält.

Was unterscheidet denn die 30- bis 40-jährigen SPD-Politiker von heute von den Achtundsechzigern?

Es gibt doch nicht die Jungen in der SPD. Die Achtundsechziger werden als eigenständige Generation betrachtet, aber das halte ich für ein soziologisches Sonderphänomen. Heute gibt es beträchtliche Unterschiede unter den 30- bis 40-Jährigen.

Ich bin jung – das reicht nicht als politische Aussage?

Das behaupten gern Ältere, die wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Ich habe mir deshalb geschworen, so einen Satz nie zu sagen.

Aber Sie meinen es so?

Jeder, der Politik macht, egal ob alt oder jung, sollte ein politisches Anliegen haben. Dieses politische Projekt muss im Mittelpunkt stehen. Alles andere wäre reiner Karrierismus.

Aber gibt es, bei allen Unterschieden, nicht doch gemeinsame Erfahrungen, die 30- oder 40-jährige Sozialdemokraten mehr miteinander verbindet als einen 30-jährigen mit einem 65-jährigen?

Natürlich. Für die Jüngeren geht die größte Bedrohung des europäischen Sozialstaatsmodells nicht von der Frage aus, ob die Renten noch sicher sind, sondern von der Frage, wie wir es schaffen, dass keine Menschen von der Teilhabe an Bildung und Arbeit ausgeschlossen sind. Und die Jüngeren achten bei der Reform unserer sozialen Sicherungssysteme besonders darauf, dass wir heute nicht auf Kosten der Generation von morgen leben. Dieser gemeinsame Erfahrungshintergrund darf allerdings nicht dazu verleiten, die Generationengerechtigkeit als die einzige Gerechtigkeitsfrage der Zukunft zu betrachten. Es ist nur eine Frage unter vielen.

INTERVIEW: JENS KÖNIG