Wie viele Säulen braucht ein Plan?

Der Plan von der Bürgerversicherung erreicht die Niederungen der Politik: Heute wird sich der Grünen-Parteirat erstmals darüber streiten

Die Grünen wollen aber nur eine Säule: Lohn- und Kapital-einkünfte würden addiert

VON ULRIKE WINKELMANN

Der Plan ist super: Alle zahlen ein, so viel sie können, und kriegen raus, was sie brauchen. So gesehen ist die Bürgerversicherung die größtmögliche Annäherung ans soziale Ideal der gemeinsamen Kasse, die der Politikbetrieb derzeit zu bieten hat.

Genau genommen heißt der Plan: Alle, die Geld verdienen, zahlen in die Krankenkassen ein – nicht nur die Arbeiter und Angestellten. Und sie zahlen von allen Einkommensarten ein – nicht nur vom Lohn. Die Finanzierung der Gesundheit wird auf eine breitere Basis gestellt und dadurch vor den Risiken geschützt, die den Sozialsystemen durch die Alterung der Gesellschaft drohen. Und dazu wird noch der größte Wunsch der Arbeitgeberseite erfüllt: Die Lohnnebenkosten sinken, weil ja die Belastung gleichmäßiger verteilt wird.

Bei SPD und Grünen hat diese Idee gezündet und einen Wettstreit um das beste Modell ausgelöst: Diverse Gruppen rechnen und basteln mittlerweile an Bürgerversicherungsmodellen herum. Je konkreter die jedoch werden, desto deutlicher treten auch die Probleme dieses Superplans zur Rettung des Gesundheitssystems zutage. Zum Beispiel gibt es kaum eine einflussreiche Lobby, der die Bürgerversicherer nicht massiv auf die Füße treten: Die Beamten sollen ihren Sonderstatus aufgeben, die Ärzte ihre Extraeinkünfte und die Versicherungswirtschaft soll auf ihre Privilegienbewirtschaftung verzichten.

Auf der Seite dieser Gegner hat die Aufrüstung längst begonnen. Nahezu wöchentlich erscheinen Gutachten, die belegen, dass der besondere Versicherungsstatus der Beamtenschaft verfassungsrechtlich in Beton gegossen ist oder dass das EU-Recht keinen Eingriff in die Versicherungswirtschaft zulässt. Die Ärzteschaft – etwa der Virchowbund – behauptet, dass eine „Verschlechterung der Volksgesundheit“ drohe, wenn die Ärzte in den Gutverdiener-Stadtvierteln ihre Privatpatienten nicht mehr zum doppelten bis dreifachen Satz behandeln.

Kein Wunder, dass die Fans der Bürgerversicherung ihr Material nur zögerlich enthüllen. Sollte die SPD wirklich mit der Bürgerversicherung in die nächsten Wahlkämpfe ziehen – vor allem in die entscheidende nordrhein-westfälische Landtagswahl im Mai 2005 –, darf das Konzept nicht zu schnell zerrupft werden. Sorgfältig hüten Andrea Nahles, Vorsitzende der SPD-Arbeitsgruppe zum Thema, und der Gesundheitsökonom Karl Lauterbach – Nahles nennt ihn „Mr. Bürgerversicherung“ – ihre Zahlen. Im Spätsommer soll es „Eckpunkte“ geben.

Nur so viel geben Nahles und Lauterbach preis: Zwar sollen die Kassenbeiträge auch von Kapitaleinkünften abgezogen werden. Doch um die Kleinsparer nicht zu sehr zu belasten, sollen Lohn- und Kapitaleinkünfte in einem „Zwei-Säulen-Modell“ getrennt berechnet werden. Dadurch kann die Belastung von den verschiedenen Einkommensarten unterschiedlich angesetzt werden. Das ist sinnvoll, wenn man zum Beispiel den Familienvater mit 4.000 Euro Bruttolohn nicht in einen Topf werfen will mit dem Rentner, der so viel Vermögen hat, dass er von 4.000 Euro Zinseinnahmen leben kann.

Die Grünen, mit der Bürgerversicherung schon länger verschwistert und von Wahlerfolgen beflügelt, sind kecker als die SPD. Als Erstes hat nun die Grüne Jugend zusammen mit dem Sozialpolitiker Markus Kurth und einigen anderen aus der Partei ein Konzept vorgelegt, das heute im Parteirat und morgen in der Fraktion diskutiert werden soll.

Die SPD will Lohn- und Kapitaleinkünfte in einem 2-Säulen-Modell getrennt berechnen

Sie wollen nur eine „Säule“: Lohn- und Kapitaleinkünfte werden addiert, die Beitragsbemessungsgrenze wird auf 5.150 Euro angehoben. Dadurch belasten sie die höheren Lohngruppen weit stärker, als es die SPD bislang vorhat und als es die Grünen-Parteispitze bisher billigt. Dafür aber „führt unser Vorschlag zur Entlastung bei allen Einkommen bis 4.200 Euro“, erklärt Felix Tintelnot von der Grünen Jugend.

Auch ein zweiter Punkt wird beim Grünen-Establishment auf Abwehr stoßen: Die Jung- und Linksgrünen wollen bei den Löhnen den hälftigen Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung erhalten. Nun haben die Bürgerversicherer den Arbeitgebern ohnehin nicht so viel zu bieten wie etwa die CDU, die mit der „Kopfpauschale“ die Kassenbeiträge komplett vom Lohn und damit den Lohnnebenkosten abkoppeln will. Deshalb wollen die Grünen den Arbeitgebern entgegenkommen: Ihr Beitrag soll auf niedrigem Niveau eingefroren werden, um das Lohnnebenkosten-Argument zu entkräften.

Der Plan war super, weil er aufs Ganze guckte. Die Grünen steigen heute in die Debatte darüber ein, wer durch seine Umsetzung wie belastet wird und wie man die Belastung verkauft. Die Bürgerversicherung hat die Niederungen der Politik erreicht. Die lässt von Superplänen bekanntermaßen nichts übrig.