Mit den Geistern sprechen

400 Kilometer für zwei Euro: Wer nicht ständig kräftig um die Preise feilscht, verdient keinen Respekt. Eine Reise in den grünen Norden von Benin – inklusive glücklich bestandenen Voodoo-Abenteuers

Cotonou, Hotel Jardin Helvetia, geführt von einem Basler und seiner beninesischen Frau Moroniké. Ganvié, circa 50 Kilometer nördlich von Cotonou, afrikanisches Venedig, unbedingt eine Piroge ohne Motor nehmen, sonst donnert man ruckzuck hin und zurück und sieht nichts. Djougou, Centre International du Tissage: Weberei, von Frauen geführt, die nach eigenen Entwürfen schöne und preiswerte Stoffe von Hand weben. Abomey, Chez Martine, schönes Hotel mit großem Garten, billig und sauber. Natitingou, Hotel Mimosa, ruhig und abgelegen. Natitingou, La Breche du Nati: Restaurant in einer Original-Lehmburg, Tatas genannt. Zauber, um das Herz eines geliebten Mannes zu gewinnen: 9 Aasgeierfedern und 9 Fasanenfedern zerkleinern, ein bisschen vom eigenen Blut beimischen, umrühren und dabei singen: Fasan und Fasanin trennen sich niemals.

VON PAMELA SCHLATTERER

Eben ist Dominique von seinem Besuch bei einem Voodoo-Wahrsager zurückgekehrt. Irgendetwas stimmt nicht. Sein gebräuntes Gesicht ist bleich. Vor ein paar Stunden ist er losgezogen, mit unserem freundlichen Chauffeur Thierry, über die wellige Strandpiste, am Meer entlang. Zum Maître du Fa. Das sind die Voodoo-Wahrsager, die mit den Geistern sprechen können.

Seit drei Tagen akklimatisieren wir uns in einem Hotel in der Nähe von Cotonou, der größten Stadt Benins. Wir wohnen unter Kokospalmen, an einem endlosen gelben Strand, der sauber ist und ohne die überall in Westafrika herumwehenden schwarzen Plastiktüten. Jeden Morgen zieht langsam eine Herde Zebukühe am Hotel vorbei, gefolgt von ihrem mageren Hirten. Schöne, grauweiße Kühe, mit Hörnern wie eine Lyra. Wie beim Tauziehen stehen die Fischer in einer Reihe und ziehen mit aller Kraft ihre Netze wieder an Land.

„Was hat denn der Wahrsager gesagt?“, will ich wissen. Dominique war losgezogen, um herauszufinden, ob seine Vorfahren ihm friedlich gesinnt seien. Seine Ururgroßeltern sind wahrscheinlich genau von dieser Küste, die einst Sklavenküste hieß, aus ihren Dörfern in die Karibik verschleppt worden. Der Wahrsager warf Kaurimuscheln, dann kleine Knöchelchen, dann Steinchen, dann wieder Muscheln. Immer wieder. Kopfschüttelnd hat er die Botschaft der Geister betrachtet. „Alles in Ordnung mit deinen Vorfahren“, hat er meinen Reisefreund beruhigt. „Aber da ist ein anderes Problem: Dein Tod steht unmittelbar bevor. Du wirst durch einen Unfall sterben.“ Na prima, denke ich. Morgen wollten wir eigentlich losreisen, um Benin zu erkunden. Die Möglichkeit eines Unfalls ist im chaotischen Verkehr von Cotonou auch ohne Wahrsagerei ziemlich überzeugend.

Cotonou, ein gigantischer Moloch, erstickt täglich. Stundenlang kann man an einer Kreuzung eingekeilt sein zwischen klapprigen Autos und Lkws, umwabert von Abgasschwaden, die durch das Panschen des geschmuggelten Benzins aus Nigeria noch giftiger als normal sind. 40 Euro verlangt der Voodoo-Meister, wenn der böse Unfallzauber abgewendet werden soll. Wir zahlen schnell und ohne weitere Fragen zu stellen. Außerdem braucht er noch ein getragenes Kleidungsstück und er versichert uns, dass damit der Fluch abgewendet wird. Wir fahren los. Auf dem Rücksitz von Thierrys Auto entspannen wir uns langsam, es geht nach Norden, Richtung Abomey, der alten Hauptstadt des einst gefürchteten Königreichs Dahomey. Blutrünstig und machtgierig fielen die Könige von Dahomey immer wieder über benachbarte Stämme her, erweiterten das Reich und verkauften diejenigen Kriegsgefangenen, denen sie nicht die Köpfe abschlugen, an die Weißen als Sklaven. Hunderttausende waren es.

Nur ein Stamm schaffte es, den regelmäßigen Überfällen zu entkommen. Sie zogen sich weit in ein Sumpfgebiet zurück und schufen dort eine große Stadt, Ganvié, eine Art afrikanisches Venedig. Die Paläste allerdings sind strohgedeckte Holzhütten auf Stelzen. Wir gleiten auf einer stillen Piroge auf diese traumhaft schöne Stadt zu, die den Bewohnern ihre Freiheit garantierte. Vorbei an zartlila Wasserhyazinthen kreuzen lange schmale Boote, in denen Frauen ihren Marktstand ausgebreitet haben.

In Abomey besuchen wir die Königspaläste aus rotem Lehm, hören blutrünstige Geschichten über die unterschiedlichen Könige, die alle mit den Weißen gemeinsame Sache machten. Einer von ihnen schuf ein gefürchtetes Amazonenheer, mit Kriegerinnen, die schrecklicher wüteten als alle Männer zuvor.

Für weitere Erkundungen nutzen wir eins der Mofataxis, die einen für 50 Cent so weit fahren, wie man will. Allerdings muss man vorher gut verhandeln. Preise aushandeln ist allgegenwärtig in Afrika. Nicht als Ausdruck von Geiz, sondern um sich Respekt zu verschaffen. Immerhin: Als wir den Chauffeur verabschieden und auf einen Überlandbus umsteigen, um noch weiter nach Norden zu fahren, nennt er uns die Standardpreise.

Für umgerechnet zwei Euro fahren wir 400 Kilometer in den Norden. Wir verlassen den üppigen Süden und kommen in den kühleren Norden, in eine Art toskanische Hügellandschaft. Wunderschön. Bloß nicht an Wein denken. Hier trinken die Menschen dünnes einheimisches Bier. Im Norden entdecken wir typische kleine Familientrutzburgen aus rotem Lehm, eine faszinierend einfache und effiziente Architektur: klein, rund, die Tier leben unten, die Familie schläft oben. Die abgeschlossenen runden Bauten waren einst Schutz gegen Sklavenjäger.

In der Nähe von Natitingou baden wir nach einem Ausflug in einem Wasserfall, der paradiesisch aussieht und so kühl ist, dass ich zum ersten Mal seit Wochen frösteln kann. Herrlich. Abends rattern wir – natürlich mit Mofataxis – über Stock und Stein zurück. Vor mir sehe ich die handgemalten Kennzeichen der „Zem“, wie die kleinen Vespas genannt werden. „Die Liebe heilt alles“ oder „Wer weiß, was morgen ist“ steht da. In einer Straßenkneipe lerne ich den Turnlehrer der örtlichen Mädchenschule kennen. Er war einmal ein Top-Athlet, erzählt er. Aber das Geld habe nicht gereicht für eine professionelle Sportkarriere. Später lädt er mich ein und will mir seinen Familienfetisch zeigen. Überhaupt entpuppt sich jeder zweite Beniner nach kurzem Gespräch als eine Art Teilzeitzauberer. Man ist zwar Christ oder Muslim, aber der Voodoo-Altar wird trotzdem gepflegt.

Wir besuchen den stärksten Fetisch in ganz Westafrika: ein schwarzer abgestorbener Baumstamm wenige Meter von einer Straße entfernt. Hier soll die Anwesenheit der Geister und Götter so stark sein, dass man direkt mit ihnen kommunizieren kann. Dazu benutzt man einen spitzen Holzpflock, den man in die Erde rammt und dabei einen Wunsch an die Götter richtet. Dieser Wunsch soll garantiert in Erfüllung gehen. Nach einem Jahr muss man die Götter mit einem Tieropfer belohnen, sonst kann die Sache böse ausgehen. Dominique will keinen Wunsch mehr äußern, den Geistern keine Fragen stellen. Immerhin: sein Zauber hat gewirkt. Wir sind Tausende von Kilometern gefahren – ohne Unfall.