Netzstecker ziehen hilft nicht

Immer mehr Kinder werden im Internet Opfer von sexueller Belästigung. Die Kölner Informationsstelle Zartbitter e.V. berät Eltern und Kinder, wie man sich schützen kann

Köln taz ■ „Der Mann hatte den Jungen in einem Internet-Chat angesprochen. Er schenkte ihm ein Handy, verabredete sich mit ihm und missbrauchte das Kind.“ Seit immer mehr Kinder freien Zugang zum Internet haben, häufen sich solche Fälle, erzählt Ursula Enders, die Leiterin von Zartbitter e.V., der Kölner Informationsstelle gegen sexuellen Missbrauch. Um mehr über die Strategien der Täter zu erfahren, die Kinder über das Internet sexuell ausbeuten, und um entsprechende Präventionskonzepte entwickeln zu können, hat sich Enders im letzten halben Jahr fast jeden Tag in frei zugängliche Teenchats eingeloggt. Beim Yahoo-Chat „Herzklopfen & Herzschmerz“ etwa gibt sie sich als „suesse13w1991“ aus: als 13-jähriges Mädchen, geboren 1991.

„Dann dauert es meist nur drei bis vier Minuten, bis die Männer ihren Link schicken und vor der Web-Cam wichsen“, erzählt sie. Nach ihrer Erfahrung kommen die Täter in solchen Chats, separaten Messenger-Räumen, Foren oder Newsgroups nach der ersten Kontaktaufnahme meist schnell zur Sache und äußern gegenüber den kindlichen Chat-Partnern völlig unverblümt ihre sexuellen Vorstellungen und Erwartungen, schicken pornographische Fotos oder versuchen sogar, die Kinder zum „Cam2Cam“ zu überreden. Dabei befriedigen sich die Chat-Partner auf beiden Seiten vor laufender Web-Kamera. Auf diese Weise würden inzwischen sogar Pornos produziert, indem mittels einer Software solche Kameraaufnahmen aufgezeichnet werden. „Damit hat man auch keine Kontrolle mehr über die Daten“, sagt Enders und warnt generell davor, Kindern den Besitz von Web-Cams zu erlauben.

Neben der Belästigung durch Gespräche über Sex, das Zusenden von Videoaufnahmen oder Fotos werden Kinder auch häufig per SMS oder E-Mail belästigt, wenn nicht sogar versucht wird, ein Treffen zu vereinbaren, das dann zum Missbrauch „in der realen Welt“ führt, erklärt Enders. Die strafrechtliche Verfolgung von Internetmissbrauch in Deutschland werde jedoch dadurch erschwert, dass Provider die Daten ihrer Chat-Nutzer nur sechs Monate speichern müssten, beklagt sie. „Die Polizei aber braucht bei der Vielzahl der Klagen und Fälle rund zwei Jahre, um das Material auszuwerten“. Außerdem gebe es in Deutschland nur rund 50 Polizisten, die deliktunabhängig im Netz surfen und nach Tätern fahnden.

Auf Seiten der Opfer jedenfalls führe sexuelle Ausbeutung im Internet fast immer zu einer Traumatisierung, erklärt Enders. „Die Konfrontation überfordert Kinder in ihren emotionalen und kognitiven Verarbeitungsmöglichkeiten.“ Da helfe dann auch der Tipp mancher Eltern nicht, den Netzstecker zu ziehen. „Auch dann bleiben die Bilder im Kopf.“ Dagegen sei es wirkungsvoll, sexuelle Anmache mit Antworten wie “Da hole ich meine Mama, die redet auch gerne darüber“ zu kontern. Außerdem empfiehlt Enders, die ab Herbst Kurse zum Thema anbietet (siehe Kasten), dass Eltern selbst das Internet erkunden. „In vielen Familien ist das Web die Domäne der Kinder geworden – und die Eltern sind auch noch stolz darauf.“ Susanne Gannott