Auf dem Teppich

Der Dirigent Jonathan Nott bewies beim SHMF-Konzert in Kiel sein Gespür für Struktur und Balance

Sieben Kontrabässe standen am Sonntag zu Konzertbeginn auf der Bühne jenes „Schloss“ genannten scheußlichen Nutzbaus am Ufer der Kieler Förde, dazu zwei Harfen und die entsprechende Menge an Streichern, Holzbläsern, Blech und Schlagwerk. Der quantitative Aufwand, den das Eröffnungswerk des Abends den Bamberger Sinfonikern abverlangte, stand indes in leicht enttäuschendem Verhältnis zur Qualität. Denn Benjamin Brittens „Sinfonia da Requiem“ von 1939, nicht zu verwechseln mit dessen 22 Jahre später enstandenem Antikriegs-Manifest „War requiem“, bleibt in seiner gemäßigten Progressivität, seiner Gesanglosigkeit und eher gemütvollen Melancholie den Beweis noch schuldig, dass da einer der künstlerisch fruchtbarsten Klassiker des 20. Jahrhunderts am Werk war.

Am Chefdirigenten Jonathan Nott hat es nicht gelegen. Der junge Engländer, der als Chef des französischen Ensemble Intercontemporain ein gefragter Spezialist für zeitgenössische Musik ist, zeigte gleich im nächsten Stück, dass er Großes leistet, wenn es die Musik erlaubt.

Am Klavier bei Mozarts C-Dur-Konzert K. 467 saß Notts Landsmann Steven Hough, etwas verspannt, die Beine unters Instrument geklemmt, als wäre der Flügel eine Nummer zu klein. Sein Spiel war tadellos, meisterhaft unelegant, akzentuiert und von herber Geläufigkeit. Statt wie üblich abzuheben im von gezupften Geigen begleiteten Gesang des Andante, blieben Nott/Hough gekonnt auf dem Teppich. Getragenheit und Ruhe, so demonstrierten die beiden in äußerlich ungewohnt zügigem Tempo, entstehen innen.

Wahre Großtaten allerdings vollbrachten die unaufdringlich grandiosen Bamberger nach der Pause. Denn Schumanns 3. Sinfonie, der „Rheinischen“, bekam Notts Gliederungskunst, sein Gefühl für Struktur und Balance kombiniert mit ansteckendem Sinn fürs Tanzbare noch in durchgearbeitetster Sinfonik, hervorragend. Nie zuvor habe ich so klar gehört, wie wichtig die vier Hörner für den Zusammenhalt, aber auch für die triumphierend gute Laune in diesem Stück sind.

Der Schlusssatz aus Ligetis „Concert romanesc“, ein Feuerwerk brodelnd avantgardistischer Folklore, machte als Encore den Kehraus. Die wirbelnd witzige Virtuosität sprang auf den Tisch des Hauses und zeigte sich klanglich verwirrend neu und alt zugleich. Da verloren selbst die als kühl bekannten Kieler die Fassung, gaben den Fuß frei zum Wippen, jubelten und stürzten sich zufrieden an das vom Sponsor bezahlte Büffet. Stefan Siegert