Whiskeyschwere Erinnerungen

Wenige dramaturgische Elemente: Regisseur Dieter Seidel inzeniert Brian Friels „Der Wunderheiler“ am Theater N.N.

Im Theater N.N. ist der irische Sommer eingekehrt: Der Aufführungssaal ist in gedämpftes grünes Licht getaucht. Die Reihen der Theatersitze sind gegen rustikale Holztische und abgewetzte Sessel mit muffiger Polsterung ausgetauscht. An der Theke steht Regisseur Dieter Seidel und bedient seine Gäste.

Ein Mann in braunem Lodenmantel betritt den Pub. Sein Blick fliegt über die Tische, seine Lippen formen wie von selbst Namen irischer Dörfer, als seien sie eine katholische Litanei. Der Mann ist Francis Hardy, von Beruf Wunderheiler. „Einer, der um sich herum aller zerstört, um es selbst neu zu erschaffen“, raunt seine Geliebte Grace in ihr Glas. „Ein Künstler, mit großem Talent“, prahlt sein Manager Teddy. „Vom Schicksal dazu bestimmt“, sagt Hardy selbst und verweist auf seine Initialen – F. H., der Fantastische Heiler.

Die Gäste im Pub begleiten Francis, Grace und Teddy in ihren whiskeyschweren Erinnerungen an eine gemeinsame Zeit. In vier Monologen verknüpfen sich ihre Geschichten zu einem tiefen Zeugnis des Scheins der Wirklichkeit, der Unmöglichkeit dauerhafter Bindungen und der Suche nach Identität. Die Charakterstudie Der Wunderheiler (Faith Healer) schrieb der Dramatiker Brian Friel im Jahr 1979. Als Kind einer katholischen Familie in Nordirland verarbeitet er darin auch die eigenen Gefühle der Heimatlosigkeit und den Wunsch nach einem Neubeginn.

Leider beschränkt sich Regisseur Dieter Seidel nicht darauf, der Theater-Traumfabrik die irische Volksweise gegenüberzustellen. Stattdessen überlädt er die Inszenierung mit Musik der irischen Sängerin Sinead O‘ Connor aus den 80er Jahren. Diese modernen Stücke stehen im Gegensatz zum zeitlichen Setting des Stücks – leider kaum sinnstiftend – und lassen Grace in ihrem langen Umhangkleid wie auch Teddy in seinem 40er-Jahre-Showbiz-Anzug umso kostümierter erscheinen.

Ansonsten soll mit wenigen dramaturgischen Elementen ausgekommen werden. Jens Wesemann (Francis) und Thomas Lindhout (Teddy) sind dieser Anforderung jedoch nicht immer gewachsen. Dann geben sie dem Stück ungewollt die Komik eines Bauerntheaters. Konsequent ausgeführt, hätte die Nähe von Text und Gestik ein Stilmittel sein können – so kokettiert allein die ungleich expressivere Judith Mann (Grace) auf der Bühne mit unterstellter irischer Mentalität: einem Wechselspiel aus tiefer Melancholie und unbändiger Lebensfreude. LENA ULLRICH

weitere Vorstellungen: 2. + 3.8., 20 Uhr, Theater N.N. (Hellkamp 68)