Beim Waschen dichten

Die Großväter sind die Lehrer! Die Ausstellung „Thomas Bernhard und seine Lebensmenschen“ im Literaturhaus Berlin folgt den Gedankenspuren von Familie und Freunden im Werk von Bernhard

VON JAN SÜSELBECK

Zuerst muss man in eine schwarze Denkzelle. Die Ausstellung „Thomas Bernhard und seine Lebensmenschen. Der Nachlaß“, die derzeit im Literaturhaus Berlin gezeigt wird, beginnt hier: mit diversen Interview- und Filmschnipseln. Vergnügt lächelnd sitzt da der selbst ernannte philosophische Aasgeier“ Bernhard auf einer mallorquinischen Hotelterrasse und erzählt: „Die großen Spaßmacher der Geschichte sind die Lachphilosophen.“

Gemeint sind Immanuel Kant und Arthur Schopenhauer. Die angeblich verbissensten Denker also und damit laut Bernhard auch die lustigsten. Er selbst reise gerne ins Ausland, wo er die Sprache nicht verstehe, erklärt der schmunzelnde Österreicher weiter. Da komme ihm das Gerede der Leute, das zu Hause nicht zu ertragen sei, plötzlich bedeutsam vor. „Der Schmarrn wird in Spanien für mich philosophisch!“

Die Kuratoren Martin Huber und Manfred Mittermayer haben mit diesem Auftakt eine kluge Auswahl Bernhard’scher Selbstaussagen getroffen. Der Besucher wird in eine Gedankenwelt entführt, die sich in den folgenden Räumen als weniger monomanisch erweisen wird, als es ob der vielen originalen Manuskriptseiten aus der streich- und korrekturfreudigen Textwerkstatt des Autors den Anschein haben könnte. Vieles begegnet dem Besucher nämlich im Laufe der Ausstellung immer wieder – und entpuppt sich als Folge des Einflusses wichtiger biografischer Bezugspersonen: Bernhards so genannter Lebensmenschen.

In einem mit lodengrünem Filz ausgeschlagenen Saal wird zunächst Bernhards Familie vorgestellt, ausgebreitet in vielen Fotos aus der Kindheit des Autors. Die Mitte des Raums gehört dem Großvater Johannes Freumbichler (1873–1949). „Er war mein großer Erklärer, der erste, der wichtigste. Im Grunde der einzige“, schreibt Bernhard über Freumbichler, der 1937 mit seinem Roman „Philomena Ellenhub“ seinen einzigen großen Erfolg errang, den Österreichischen Staatspreis für Literatur. Der 1931 geborene Bernhard wurde vom misanthropischen Weltbild des Großvaters geprägt. Die Ausstellung deutet auf Gedankenspuren, die diese rigorose Vorschule im Kopf des berühmten Enkels hinterließ. Noch in einem der letzten hier erstmals präsentierten Textentwürfe Bernhards, dem Dramenfragment „Die Schwerhörigen“, findet sich der im Werk nicht nur einmal vorkommende Satz: „Die Großväter sind die Lehrer.“

„Mit Schopenhauerlektüre sofort täglich beginnen!“, feuerte sich Freumbichler in einem seiner hier ausgestellten Notizbücher an und schreibt nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland in bestem Bernhard-Sound: „Das Gesindel überschwemmt massenhaft die Erde. Oktober 1938. Das ist die Wahrheit.“

Gegenüber dem Großvater-Raum in Lodengrün kann man sich in das Typoskript der berühmten Skandalrede vertiefen, die Bernhard, in die Fußstapfen seines familiären Vorbilds tretend, anlässlich der Verleihung des „Kleinen Österreichischen Staatspreises“ 1968 in Wien hielt: „Die Zeitalter sind schwachsinnig, das Dämonische in uns ein immerwährender vaterländischer Kerker, in dem die Elemente der Dummheit und der Rücksichtslosigkeit zur tagtäglichen Notdurft geworden sind.“

Der letzte, ochsenblutrote Ausstellungsraum thematisiert Bernhards skurrile Beziehung zur 37 Jahre älteren Hedwig Stavianicek (1894–1984). In einem Brief von 1952 schreibt Bernhard an die eigensinnige Frau, die in seinem Umfeld immer nur „Tante“ genannt wurde: „Du bist mir der liebste Mensch – wie soll ich es anders sagen? Meine Mutter? Ja! – Ist das nicht so?“

Stavianicek unterstütze Bernhard lange finanziell und begleitete ihn auf jenen prägenden Reisen, die für sein Schaffen so wichtig werden sollten. 1982 etwa schrieb er im kroatischen Lovran, das er bereits 1955 zum ersten Mal mit Stavianicek besucht hatte, seinen Roman „Auslöschung“ fertig. Jetzt kann man im Literaturhaus die berühmten ersten Manuskriptseiten dieses erst 1986 erschienenen, längsten Bernhard-Texts betrachten: Dort strich der Autor in einem letzten handschriftlichen Korrekturgang die Lektüreempfehlung zu Adalbert Stifters „Witiko“ durch und setzte stattdessen kurzerhand seinen eigenen – 1964 ebenfalls zur Hälfte in Jugoslawien verfassten – Roman „Amras“ ein. Besonders ulkig: Die Aussteller präsentieren erste Entwurfsnotizen zu „Auslöschung“, die Bernhard auf dem Titelblatt der Bedienungsanleitung für eine Waschmaschine festhielt.

Das ist nur eines der kuriosen Text-Bilder, die man nach Verlassen der Räume im Kopf behält. Es verbindet sich auf eigentümliche Weise mit der Antwort, die Bernhard in einem der eingangs gesehenen Interviewfetzen auf die Frage gibt, ob er denn den ganzen Tag schreibe. „Um Gottes willen, nein!“ Er gehe lieber spazieren.

Bernhards Romane scheinen tatsächlich beim Gehen konzipiert worden zu sein. Und vielleicht auch beim Wäschewaschen.

„Thomas Bernhard und seine Lebensmenschen“. Literaturhaus Berlin, Fasanenstr. 23. Bis 18. Juli, täglich 11–19 Uhr