Allrad für Alleskönner

Nach dem 3:0-Erfolg gegen Dänemark und dem Beweis, auch defensiv fähig zu sein, ist Tschechien erster Favorit auf den Titel. Und Jan Koller weiß, wie Ottos Griechen-Bollwerk beizukommen ist

AUS PORTO RALF ITZEL

Der Verdächtige versuchte noch, sich zu tarnen, aber es war zu spät. Man hatte ihn längst erkannt, und die Beweislage war erdrückend. Nach 70 Minuten des Viertelfinales, in denen er sein Torkonto um zwei Treffer auf fünf erhöht hatte, wurde Milan Baros ausgewechselt, und bis der 22-Jährige rund zwei Stunden später den Mannschaftsbus bestieg, wechselte er fünfmal die Kleidung. Erst wurde das gelbe Trägerhemd für die Ersatzspieler über das Trikot gestreift; mit dem Schlusspfiff zog er es wieder aus, um in Weiß zu feiern; das helle Sporthemd warf er dann in die Menge der Fans und zog wieder das ärmellose gelbe über; zur Pressekonferenz kam er in einem dunkelblauen Shirt, den Bus erklomm er in einem hellblauen. Aber die Camouflage nützte nichts. Baros ist als die große Entdeckung des Turniers entlarvt.

Baros hat nun bei jedem seiner Auftritte das Runde ins Eckige bugsiert, gegen Lettland, Holland, Deutschland und nun zweimal gegen Dänemark. Schön, dass auch der Nebenmann seinen Namen auf der Leuchttafel im wunderschönen Stadion des Drachens lesen durfte. Jan Koller markierte den Führungstreffer. Dass die Dänen bei gegnerischen Eckbällen trotz der Anwesenheit eines 2,02 Meter großen Kopfballungeheuers den kurzen Pfosten nicht abdeckten, musste bestraft werden. Genau dorthin beförderte der Dortmunder Borusse schließlich die Kugel zur Führung.

Entschieden war das Spiel aber erst nach Baros’ Doppelschlag. Der hatte reichlich Motivation mitgebracht, weil er bei seinem Klub FC Liverpool zuletzt auf der Bank schmorte, obwohl er nach einem Knöchelbruch, den ihm im September Blackburn-Verteidiger Markus Babbel zugefügt hatte, längst wieder fit war. „Ich wollte hier einigen Leuten zeigen, dass ich Fußball spielen kann.“ Die Beweisführung gelingt bisher eindrucksvoll, Baros ist dabei, zum Hauptdarsteller der EM zu werden.

Das gilt allerdings für die gesamte „Reprezentace“ (Vertretung) Tschechiens. Gegen Dänemark wurden letzte Zweifel beseitigt: Diese Mannschaft ist jetzt der Favorit. Nach den drei Gruppensiegen nach Rückständen wusste man, dass sie die mentale, spielerische und physische Stärke besitzt, missliche Situationen zu wenden. Man merkte, dass ihr etwas wunderbar Poetisches, Abenteuerliches, Großzügiges innewohnt. Jetzt war zu erkennen, dass sie auch kalkulieren, abwarten, verteidigen kann. Sie ist ein Alleskönner, ein Allrounder, ein Allradwagen auf dem Weg zum großen Reiseziel.

So defensiv wie in der ersten Halbzeit sah man die Elf bisher nicht. Karel Brückner hatte seinen Männern eingebläut, dass sie in der K.o.-Runde („Da geht es um Himmel und Hölle“) nicht mehr mit dem Feuer spielen können. „Wir wollten unbedingt, dass die Null steht“, sagte Verteidiger Tomas Ujfalusi vom Hamburger Sportverein, und Bundesligakollege Tomas Rosicky aus Dortmund meinte: „Normalerweise spielen wir nicht so defensiv, aber auch das hat geklappt.“ Die Hintermannschaft, vorher für den Schwachpunkt gehalten, schöpft nach der ersten Partie ohne Gegentor Selbstvertrauen. „Das war ein wichtiger Moment für die ganze Abwehr“, sagte Torwart Petr Cech, „jetzt wissen wir, dass wir zu allem fähig sind.“

Sie verteidigten hochkonzentriert und verhinderten trotz der anfänglichen dänischen Überlegenheit große Torchancen: Statt „Danish Dynamite“ wurden nur Rohrkrepierer gezündet. Und im zweiten Teil des Abends schlugen die Tschechen, wie immer angeführt von den überragenden Poborsky und Nedved, schließlich zu, begünstigt von gegnerischen Konzentrationsschwächen, die Morten Olsen auf die Palme brachten: „Wie kann man so gut Fußball spielen und dann solche Fehler begehen?“, fragte der dänische Trainer so erzürnt, dass sich ihm die buschigen Augenbrauen aufstellten.

Die tschechische Delegation machte natürlich einen relaxten, auch erholten Eindruck. Gegen die deutsche Elf hatte sie, bereits qualifiziert, das Energiesparprogramm einschalten und das Stammpersonal schonen können. Ein großer Vorteil, den sich bei der EM 2000 auch die Italiener und Franzosen verschafften, um dann ins Finale einzuziehen. So dürften die Tschechen auch verkraften, bis zum Halbfinale am Donnerstag 48 Stunden weniger Erholung zu genießen als der Gegner Griechenland.

Dessen Trainer Otto Rehhagel saß auf der Tribüne und tüftelte schon an der Taktik. Die Tschechen erwartet ein Bollwerk, aber Jan Koller weiß, wie ihm beizukommen ist: „Mit Aggressivität, Bewegung, Kombinationen, Kreativität.“ Welche Mittel auch immer benötigt werden, die Tschechen haben sie im Repertoire.