AUCH DIE BÜRGERVERSICHERUNG WIRD ROT-GRÜN NICHT RETTEN
: Kein Schlager für den Wahlkampf

Geradezu überirdische Hoffnungen ruhen im Regierungslager auf den Konzepten zur Bürgerversicherung, mit denen sich die grüne Bundestagsfraktion heute zum ersten Mal befasst. Endlich will die Koalition beweisen, dass es bei den Reformen nicht nur den kleinen Leuten an den Kragen geht – sondern auch Beamten und Selbständigen, den Eigentümern von Kapitalvermögen oder Immobilien. Sie alle sollen Beiträge für die gesetzliche Krankenkasse zahlen. Sympathischer als die christdemokratische „Kopfpauschale“, bei der man immer gleich an „Kopf ab“ denken muss, klingt das hübsche Wort von der „Bürgerversicherung“ allemal.

Das Dumme ist nur: Der Begriff wird seinen Wohlklang rasch einbüßen, sobald er mit konkreten Inhalten gefüllt wird. Dann werden die vielen Wähler, die zumindest im Westen des Landes erkleckliche Summen auf der Bank deponiert haben, plötzlich merken, dass sie einen Teil ihrer Zinseinkünfte an die Krankenkasse abtreten sollen. Die Akzeptanz für eine solche Abgabe dürfte sehr gering ausfallen. Davon kann Finanzminister Hans Eichel ein Lied singen, der sich vergeblich um eine durchgreifende Besteuerung dieser Einkünfte bemüht. Ob die Bürgerversicherung wirklich zu den erhofften Einnahmen führt, ist daher höchst fraglich. Am Ende könnte die neue Gesundheitsreform leicht ausgehen wie die alte: Millionen von Versicherten werden über neue Lasten klagen, ohne dass die Beitragssätze merklich sinken.

Diese Gefahr haben die rot-grünen Strategen natürlich längst erkannt – allen voran der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück, der im Mai kommenden Jahres eine Landtagswahl zu bestehen hat. Er warnte vorsorglich davor, „gleich mit Einzelvorschlägen auf den Markt zu gehen“. Im Klartext: Als Wahlkampfschlager eignet sich die Bürgerversicherung nur so lange, wie sich Rot-Grün über die Einzelheiten ausschweigt. Mit dieser defensiven Haltung signalisiert die Regierung freilich, dass sie auch an ihr neuestes Reformprojekt nicht wirklich glaubt. Wer aber selbst nicht überzeugt ist, wird auch andere nicht überzeugen können. RALPH BOLLMANN