DIE 40-STUNDEN-WOCHE STÜTZT DAS SCHLECHTE ALTE FAMILIENMODELL
: Vorwärts in die Sechziger

„Samstags gehört Papi mir“, bald können die Gewerkschaften auch diesen Spruch aus den Sechzigern wieder entstauben. Schließlich ist das Gespenst namens 40-Stunden-Woche wieder auferstanden. Immer mehr Unternehmen fordern die Rückkehr zu längeren Arbeitszeiten. Es wirkt etwas geisterhaft, weil die Auftragslage so gut gar nicht sein kann, dass massenweise mehr gearbeitet werden müsste. Strikte Mehrarbeit statt einem atmenden Unternehmen mit flexiblen Modellen? Das klingt wirklich nach Sechzigern.

Nach Sechzigern klingt es auch, wenn die Politik, namentlich die Union, frohgemut in diese alte deutsche Weise einstimmt. Denn mit genereller Mehrarbeit wird selbstverständlich auch das gute alte Familienmodell gestützt. Bei weiterhin mangelhafter öffentlicher Kinderbetreuung wird die vorherrschende Arbeitsteilung verstärkt: Einer arbeitet voll, der andere höchstens halb. Anders ist die längere Abwesenheit des Partners nicht zu kompensieren. Damit wird eine Struktur verstärkt, die sich in Deutschland ohnehin schon verfestigt hat: Immer mehr Frauen arbeiten Teilzeit. Das Gesamtvolumen der Erwerbsarbeit von Frauen hat sich in den letzten Jahren kaum verändert – trotz der Karrierefrauen-Rhetorik allerorten. Das ist ein spezifisch deutsches Problem, das uns europaweit zum Land mit dem höchsten Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern macht.

Passend zu dieser Sachlage hat die CDU nun eine Kanzlerin im Angebot, um die geschlechterpolitische Innovation zu symbolisieren, und arbeitet auf der strukturellen Ebene gleichzeitig dem Hausfrauen-Modell entgegen. Gegen strukturelle Fehlstellungen, wie sie Deutschland eigen sind, kann man mit symbolischer Politik nicht angehen. Ohne eine Checkliste, mit der man das Thema Geschlechter bei jeder Forderung immer wieder prüft, wird man weiter im alten Fahrwasser schippern. Da fordert man dann mal eben die 40-Stunden-Woche für alle, ohne überhaupt darüber nachzudenken, was das für Familien bedeutet. Aber Angela Merkel ist weit entfernt von geschlechterpolitischen Checklisten: Vorwärts in die Sechziger! War doch auch ganz nett damals, oder?

HEIDE OESTREICH