Rebellengeneral im Nobelhotel

Ungeachtet immer neuer Kriegsmeldungen aus der Heimat suchen Liberianer nach einer Neuordnung für die Nachkriegszeit. Am runden Tisch in Ghana erwarten alle noch in dieser Woche einen Plan für die Zukunft nach dem Ende der Charles-Taylor-Ära

aus Accra HAKEEM JIMO

Für Rebellengeneral Kanu scheint der Krieg niemals weit. Ob im Häuserkampf um die liberianische Hauptstadt Monrovia oder im Foyer des besten Hotels von Ghana. Ungewollt hat die ghanaische Regierung den Aufenthalt von Luxus-Geschäftsleuten und -Gästen zum Erlebnistourismus erweitert. Im „Royal Beach Hotel“ kann man seit zwei Monaten mit einem echten liberianischen Rebellengeneral an der Bar trinken .

Kanu wirkt nervös und deplatziert. Wahrscheinlich kommt die Nervosität von den Jahren des Marihuana-Vollrauschs und einem Anflug von Verfolgungswahn. Seine Augen sind immer noch rot und verquollen.

Auch für Verhandlungspartner bei den Friedensgesprächen wirkt Kanu unberechenbar. Der Anfang-30-Jährige sagt oft stundenlang nichts. Aber wenn er spricht, gehen die anderen Liberianer vorsichtshalber in Deckung: Rechtsanwälte, Präsidentinnen und Präsidenten der Frauenvereinigung Liberias, der Jugend des Landes, von rund einem Dutzend politischer Parteien. Fast alle haben in den USA studiert und dort den ersten oder zweiten Wohnsitz. Mit den Rebellen haben sie nichts gemeinsam. Aber wenigstens scheinen alle von demselben zu reden: von der Zukunft des kleinen westafrikanischen Landes.

Die Einzigen, die den Rebellengeneral im Griff halten können, sind die richtigen Armeegeneräle a. D. aus Nigeria: der Chefvermittler Abdulsalami Abubakar und sein Berater Rotimi Williams. Im Gegensatz zu den nigerianischen Offizieren kam Rebellengeneral Kanu schneller zu seinen Sternen. Er ging in einem Gebiet zum Gegenangriff über und vertrieb wider Erwarten die regulären und ausgebildeten Regierungssoldaten. Gerade vor einer Woche kam er von der Frontlinie in Monrovia zurück, um wieder an den Gesprächen teilzunehmen. In einem depressiven Augenblick sagt er, er habe vor zwei Tagen seinen Cousin im Kampf verloren. Die meisten seiner Brüder seien schon früher gefallen. Er wolle auch, dass dieser Krieg aufhöre. Deswegen verhandele er hier, sagt Rebellengeneral Kanu.

Die Gespräche des runden Tischs finden in einem anderen Hotel statt. Hier, in der Vier-Sterne-Pension des M-Plaza-Hotels, wohnen auch die meisten der über einhundert Delegationsteilnehmer. Vor knapp zwei Monaten reisten die ersten an. Seither redet man: zusammen, Liberianer untereinander in Einzelgruppen, dann wieder abwechselnd mit den Organisatoren.

Die Gespräche stehen unter der Schirmherrschaft der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (Ecowas). Die Nigerianer haben die Leitung inne. Sie werden es auch sein, die das Hauptkontigent der Friedenstruppen mit etwa 1.000 Soldaten stellen. Auf anderer Ebene – zwischen der Taylor-Regierung und den vermittelnden Staaten der Region – werden letzte Punkte wie Sicherheitsbedenken des liberianischen Präsidenten Charles Taylor für seinen Gang ins nigerianische Exil verhandelt.

Letztendlich gehe es ums Geld, sagt ein Vertreter der liberianischen Zivilgesellschaft bei den Gesprächen in Accra. Die Ecowas fordere für eine erste Zahlung 100 Millionen US-Dollar Unterstützung. Die USA hätten offiziell bislang 10 Millionen US-Dollar als Beihilfe genannt. Das militärische Gerät stünde bereit, selbst zwei von den Nigerianern gewünschte Kampfhubschrauber, sagt der Liberianer.

Die Frustration wächst bei den Gesprächsteilnehmern. Denn die seit einer Woche wieder aufgeflammten Kämpfe untergraben das Bemühen der Accra-Gespräche für eine Neuordnung Liberias, das rund 3 Millionen Einwohner hat und etwas größer als Österreich ist. Dennoch gehen alle beteiligten Fraktionen in Accra von einer Lösung noch in dieser Woche aus. Gespräche der liberianischen Gruppen mit dem Chefvermittler sollen bereits morgen zur Ernennung des neuen Interimspräsidenten führen.