Kanzler nominiert Verheugen - gegen Merkel

CDU-Chefin will Mitsprache bei der Besetzung des Wirtschaftskommissars – und bekommt schnell die Grenzen gezeigt

BERLIN taz ■ So ein bisschen mitregieren ist immer schön. Erst recht, wenn sich man sich eigentlich noch in der Opposition befindet und offiziell nichts zu sagen hat. Angela Merkel zum Beispiel hat kein Stimmrecht bei der Besetzung der nächsten EU-Kommission. Dafür sind erst die Regierungschefs und dann das Parlament der EU zuständig. Offiziell. Trotzdem mischt Merkel kräftig mit, vor und – angeblich besonders eifrig – hinter den Brüsseler Kulissen. Deshalb darf sich die deutsche Oppositionsführerin als kleine Siegerin fühlen, wenn der konservative Portugiese José Durão Barroso heute beim EU-Sondergipfel zum Nachfolger von Romani Prodi als Chef der Kommission ausgerufen wird.

Vor dem letzten Gipfel vor zehn Tagen, als die wichtigste Personalie der EU noch offen war, reiste Merkel nach Brüssel, um sich am Vorabend des Staatsmännertreffens mit den konservativen Partei- und Regierungschefs Europas zu beraten. Dabei soll Merkel maßgeblich dazu beigetragen haben, dass sich die rechte Truppe einschwor und festlegte: Es muss auf jeden Fall einer von uns den Job bekommen. Selbstverständlich war das nicht, schließlich hatten sich Frankreichs Präsident Jacques Chirac und die Benelux-Vertreter zunächst dem Wunsch des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Gerhard Schröder angeschlossen und für den liberalen Belgier Guy Verhofstadt plädiert.

Dass daraus nichts wurde, dass Schröder widerwillig den konservativen Barroso akzeptieren musste, lag, bei allem Engagement, wohl weniger an Merkel als an den Mehrheitsverhältnissen in der EU. Dennoch nutzt die CDU-Chefin geschickt die Gelegenheit, um sich als politischer Player in Europa ins Gespräch zu bringen. Mit Erfolg: In der Zeit und anderen Blättern wurde ihre Rolle bereits gewürdigt.

Egal wie gewichtig Merkels Wort nun wirklich war, ihr genügt der Eindruck: dass sie in Europa etwas mitzureden hat. Das stärkt das Profil der Außenpolitikerin Merkel, die bisher nur durch ihr Jein zum Irakkrieg und ihr Nein zum EU-Beitritt der Türkei aufgefallen war. Also macht sie munter weiter. Sie sei „sehr zufrieden“, sagte Merkel gestern, Barrosos Nominierung sei „ein gutes Zeichen“, weil dadurch das Ergebnis der Europawahl berücksichtigt werde, bei der die Konservativen gesiegt hatten. So soll es weitergehen. Auch bei der Bestallung des deutschen Vertreters in der EU-Kommission verlangt Merkel ein Mitspracherecht. Sie krittelt an Schröders Festlegung auf den SPD-Mann Günter Verheugen herum und fordert stattdessen einen „Fachmann“.

Die Machtverhältnisse in Deutschland aber haben sich auch durch den CDU-Erfolg bei der Europawahl noch nicht geändert. Die Berufung des deutschen Kommissars ist Regierungssache – und das wird sich Schröder auch nicht nehmen lassen, wie er gestern deutlich machte. Verheugen habe sich „enormes Ansehen“ als EU-Erweiterungskommissar erworben, betonte der Kanzler. „Es wäre die falsche Entscheidung, wenn Deutschland jemand anderes nominierte.“ Merkel stößt damit an ihre Grenzen. Durchschlagende Argumente gegen Verheugen fallen ihr nicht ein. Das Einzige, was sie tun könnte, wäre: auf ihre konservativen Parteifreunde in Europa einwirken, dass Verheugens Befugnisse eingeschränkt werden. Das aber würde ihr als Verrat an den nationalen Interessen ausgelegt, wenn sie ernsthaft etwas dagegen unternimmt, dass Deutschland das „Superkommissariat“ für Wirtschaft und Industrie bekommt. Also räumte sie gestern ein: „Von der Struktur ist der deutsche Anspruch richtig.“ Merkel scheint ihre Grenzen zu kennen. Ihren Anspruch auf Mitsprache wird sie aber bei der nächsten Gelegenheit erneut anmelden. LUKAS WALLRAFF