Freispruch trotz Schuldspruchs in Palermo

Berufungsgericht spricht Expremier Andreotti vom Vorwurf der Mafia-Unterstützung frei. Begründung: Taten verjährt

ROM taz ■ Schuldig und doch freigesprochen: So lässt sich das im Mai gegen Giulio Andreotti ergangene Urteil zusammenfassen, nachdem das Berufungsgericht jetzt die ausführliche Begründung vorgelegt hat. Andreotti, der siebenmal Ministerpräsident und über 50 Jahre einer der mächtigsten Männer Italiens war, hatte sich in Palermo wegen Unterstützung der Mafia zu verantworten. In erster Instanz war er von diesem Vorwurf 1999 freigesprochen worden, allerdings schon damals nur mangels Beweisen.

Die mit der Berufung befasste Kammer geht jetzt einen Schritt weiter: Diesmal kommt Andreotti nur deshalb ohne Strafe davon, weil seine Taten verjährt sind. In der Begründung zeichnen die Richter das Bild eines Mannes, der über Jahre hinweg selbst auf der höchsten Ebene ebenso rege wie regelmäßige Kontakte mit den Mafiosi pflegte, womit der Tatbestand einer „echten Beteiligung an der mafiosen Vereinigung“ erfüllt sei. Der Spitzenpolitiker habe „authentische, stabile und freundschaftliche Disponibilität gegenüber den Mafiosi“ an den Tag gelegt, die ihrerseits die Andreotti nahe stehenden Vertreter der Democrazia Cristiana (DC) auf Sizilien nach Kräften unterstützt hätten.

Verbindung zur Mafia habe Andreotti nicht nur über seine Mittelmänner gehalten: über den 1993 von der Mafia ermordeten regionalen DC-Boss Salvo Lima sowie über die Cousins Nino und Ignazio Salvo, die zu den Mächtigsten der Insel gehörten. Andreotti selbst habe auch mehrfach direkt die Mafia-Spitzen Stefano Bontade – in den Siebzigern Boss der Bosse – und Tano Badalamenti getroffen.

Allerdings, so die Urteilsbegründung, habe die enge Partnerschaft zwischen Andreotti und der Mafia nur bis 1980 gedauert und sei wegen Verjährung nicht mehr strafrechtlich relevant. Zum Bruch zwischen dem DC-Politiker und der Cosa Nostra sei es wegen der Ermordung des damaligen Präsidenten der Region Sizilien gekommen. Der ebenfalls der Democrazia Cristiana, nicht aber Andreottis Parteiflügel angehörende Piersanti Mattarella war den Bossen ein Dorn im Auge, weil er versuchte, den Einfluss der Mafia auf das politische Geschehen Siziliens zu unterbinden.

Unerhört ist, was das Gericht in diesem Zusammenhang feststellt: Andreotti habe kurz vor dem Mord Stefano Bontade getroffen und versucht, die Beseitigung Mattarellas zu verhindern. Stattdessen versprach er, Mattarella werde politisch kaltgestellt. Die Mafia wartete und schoss dann doch. Wieder begab sich Andreotti nach Sizilien zu einem Tête-à-Tête mit Bontade. Der jedoch antwortete nach Kronzeugenaussagen nur herablassend: „Wenn du’s noch nicht kapiert hast – hier auf Sizilien kommandieren wir.“

Auch wenn es zum Bruch kam, so hält das Gericht doch fest, dass die Mafiosi mit Andreotti einen gerade verübten Mord diskutierten, „im sicheren Bewusstsein, nicht angezeigt zu werden“. Danach allerdings habe Andreotti sich zum engagierten Gegner der Mafia gewandelt und schärfere Gesetze gegen die Cosa Nostra unterstützt. MICHAEL BRAUN