Lobby der Langzeitstudenten

Die Einführung von Studienkonten in Berlin sorgt für neuen Zündstoff in der PDS. Teile des Vorstands rebellieren gegen den Berliner PDS-Wissenschaftssenator Thomas Flierl

Die Einigkeit in der PDS dauerte gerade einmal drei Wochen. Noch auf ihrem Parteitag in Berlin hatten die Sozialisten verzweifelt die eigene Geschlossenheit beschworen. Keinen Monat später ist in der PDS ein erbitterter Streit um den Sinn von Studiengebühren entbrannt. Mitglieder des Bundesvorstandes werfen dem Berliner PDS-Wissenschaftssenator Thomas Flierl vor, mit der geplanten Einführung von so genannten Studienkonten die Politik der Partei ad absurdum zu führen.

Der Berliner PDS-Senator hatte Ende Juni die Einführung eines Credit-Point-Systems vorgeschlagen. Langzeitstudenten sollen demnach eine Strafgebühr bezahlen, wenn sie die Regelstudienzeit um mehr als vier Semester überschreiten. Beim Beginn seines Studiums erhält jeder Studierende ein Punktekonto, das er nach und nach verbraucht. Wer sein Konto geplündert hat, ohne seinen Abschluss zu machen, muss 500 Euro pro Semester zahlen.

Dieser Vorschlag treibt nun Teile des Bundesvorstandes sowie die PDS-Jugend auf die Barrikaden. Die stellvertretende Bundesvorsitzende Katja Kipping wirft ihrem Genossen Flierl vor, „den Bogen überspannt“ zu haben. Dass „ausgerechnet ein PDS-Senator“ das kostenfreie Studieren beenden wolle, sei ein „Skandal“, so Kipping. In einem Brandbrief beschuldigt sie Flierl zusammen mit mehr als vierzig weiteren PDS-Funktionären, den gemeinsamen Kampf für ein kostenfreies Studium zu unterlaufen. Zu den Unterzeichnern zählen neben Kipping unter anderem Anja Stiedenroth, Mitglied des PDS-Bundesvorstandes, sowie Landesvorstandsmitglieder aus Bremen und Sachsen.

Kipping will nun eine breite Lobby gegen den Flierl-Plan aufbauen. Es gebe keinen Anreiz für einen Missbrauch des Studierendenstatus, sagte sie gegenüber der taz. Dieser sei mit vielen Nachteilen verbunden. So sei die Inanspruchnahme von Sozialleistungen nur eingeschränkt möglich.

Unterstützung erhalten die Flierl-Kritiker auch aus der Berliner PDS. So lehnt selbst der wissenschaftspolitische Sprecher der PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Benjamin Hoff, die Pläne seines Senators ab. Hoff spricht von einem „Konflikt innerhalb des Realo-Lagers“. Der parteilose Staatssekretär des Wissenschaftssenators, Peer Pasternack, erklärter Gegner von Studiengebühren, war Anfang Juli sogar zurückgetreten. Ihm seien, so erklärte er, „die Bedingungen für gestaltende Politik“ zu eng geworden.

Zu einer Aussprache zwischen dem PDS-Wissenschaftssenator und seinen Kritikern ist es bisher nicht gekommen – aus „Zeitgründen“, wie Kipping betont. Erst „nach der Urlaubspause wird es ein Gespräch mit Flierl geben“. Auch dessen Sprecher Torsten Wöhlert rechnet erst für den September mit einem Treffen. Bis dahin werde weiter an dem Konzept gearbeitet.

Die Einführung der Studienkonten ist zum Wintersemester 2004/2005 vorgesehen. Die damit verbundenen Einnahmen sind im Berliner Landeshaushalt längst mit 10 Millionen Euro pro Jahr eingeplant. MAX HÄGLER