Amors rosarote Brille

Eine Ausstellung im Museum für Kommunikation sichtet die Liebespost der Nation. Alle Phasen von der ersten Anbahnung bis zum finalen Scherbenhaufen sind dort chronologisch dokumentiert

von Christian T. Schön

Caravaggios Amor erhebt sich aus den Federn, legt den Bogen an, zielt und trifft genau ins Auge. Eine Knabe aus Meißner Porzellan überbringt die Nachricht, die drei Worte: „ild“, „hdl“, „hdgdl“. Doppelpunkt Bindestrich Klammer zu. Smile.

Liebe ist Kommunikation. Seit Jahrhunderten hat sich daran nichts geändert. Nur die Medien haben sich gewandelt. Anschaulich und unterhaltsam zeichnet die Ausstellung „liebe.komm“ im Museum für Kommunikation diesen Wandel vom mittelalterlichen Liebesbrief bis zur SMS und die Wege der Übermittlung nach.

Der Auftakt – an Stationen erlebbar – ist archaisch wie eh: In den ersten 0,4 Sekunden der Begegnung entscheidet der Augen-Blick. Danach Nase und Ohr. Erst dann greift der Mensch zur Feder. Und erst jetzt beginnen die Probleme. „Erst gräbst Du mich an, um mich dann stehen zu lassen. Du Vollidiot!“, beklagt sich eine Unbekannte bei Sebastian. In einem Briefchen, das unter der Klassenbank durchgereicht wurde, heißt es: „Oh Göttliche! Meine Sinne versinken in einem Strudel verrauschender Empfindungen. Lechz!“

Echte Probleme konnten Frauen bekommen, die dem Schnauzbartträger AH körbeweise Fan-Post schrieben: „Am liebsten führe ich nach Berlin und käme zu Ihnen! Darf ich das???“ AH antwortete schnöde mit einer Standard-Danksagung („Aufrichtigen Dank“). Blieb die Verehrerin hartnäckig, drohte ihr die Heilanstalt. Kafkas Leiden („Heute wieder kein Brief, nicht mit der ersten, nicht mit der zweiten Post“) wären heute dank E-Mail geheilt. Seine Verlobte könnte er im Stundentakt kontaktieren; Max Brod würde die Mails auf ein Zip-Laufwerk ziehen, ausdrucken und retten. Goethe würde abends Eckermann sein Foto-Handy in die Hand drücken. Mit der Bitte um Transkription bis morgen früh. Ein Büchlein mit Turtel-SMSen von Rudolf Scharping und Gräfin Pilatin konnte der Ausstellung leider, leider nicht zur Verfügung gestellt werden.

Um die Schriftlichkeit der Kommunikation muss sich niemand Sorgen machen. Auf Notizzetteln an der Kühlschranktür, in seitenlangen Chat-Dialogen und Stapeln von ausgedruckten E-Mails, die auf den Nachttischen der Nation liegen, bleiben die Liebesschwüre unvergänglich. Die Handys von heute gelten als die Postkarten von früher. Beide Medien werden in der Ausstellung gleichwertig behandelt, so dass die Kontinuität sichtbar wird. Lücken bei den Exponaten werden mit Leuchtkästen und Reproduktionen geschlossen. Einige Themen (Liebeskrise, Seitensprung) werden nur knapp angerissen, bevor der Parcours symbolisch vor Goldener Hochzeit oder einem Scherbenhaufen endet.

Unbeirrbar verteilt Amor weiter rosarote Brillen. Ob er weiß, dass es von der Ungewissheit zur Sicherheit ein weiter Weg sein kann? Vor ein paar Tagen wurde auf der Herrentoilette des Museums ein in Stücke gerissenes, sandgelbes Blatt Papier gefunden. Darauf stand: „Die letzten Tage mit dir waren so bezaubernd, das ich in der Schule an Konzentrationsproblemen leide. Wollen wir uns morgen wieder treffen? – Oder habe ich mir alles nur ausgedacht?“ Selten wagt sich die Realität so weit ins Museum vor wie in diesem Fall.

Di–Fr 9–17 Uhr. Museum für Kommunikation, Gorch-Fock-Wall 1; bis 9. Januar