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Neuer Geist in alten Hallen

Wahrheit-Reporter vor Ort: Tontöpfe und Tupperware zum Machtwechsel

Drei-Sterne-General Jackson White führt US-Statthalter Paul Bremer durch das irakische Nationalmuseum in Bagdad. Da, wo früher Bronzeplastiken aus dem Ischtar-Tempel in Ninive, assyrische Terrakotta-Figuren vom Thronpodest Salmanassars III. und Tontäfelchen mit Keilschriftzeichen Zeugnis ablegten von der Wiege der Zivilisation, herrscht heute, über ein Jahr nach der Plünderung, immer noch gähnende Leere. Eine hochrangige Delegation aus amerikanischen Kunstexperten und irakischen Museumsleuten begleitet White und Bremer und erläutert ihnen ausführlich die immensen Schäden. Vor einer zerstörten Vitrine, in der nur noch ein paar kümmerliche Tonscherben liegen, bleibt White stehen und kommt in seiner hemdsärmeligen Art gleich zur Sache. „Soweit ich sehe, gab’s hier ja ’ne ganze Menge von dem alten Plunder. Aber ich muss ganz ehrlich sagen: Kaputte Blumentöpfe wandern bei uns zu Hause in Nebraska auf den Müll.“

Die irakischen Museumsleute zucken bei diesen deutlichen Worten leicht zusammen. Als Hassan Burak, ein international angesehener Archäologe, einzuwenden wagt, dass es sich bei den Scherben nicht um Blumentöpfe aus einem Baumarkt in Nebraska, sondern um Tontäfelchen aus Uruk handele, mithin älteste Zeugnisse menschlicher Schriftkultur, unterbricht ihn White barsch: „Wir sind nicht hergekommen, um sumerische Keilschriften zu entziffern, wir sind hier, um Freiheit und Demokratie zu buchstabieren!“

Das sitzt – und gibt die Richtung vor für den weiteren Verlauf des Rundgangs. Je tiefer White, Bremer und ihre Entourage in die notdürftig wiederhergestellten Ausstellungsräume des Museums vordringen, desto bedrückender wird die Stimmung der Gruppe.

„Ich denke“, verkündet Bremer schließlich mit weit ausholender Geste, „dass hier etwas völlig Neues entstehen muss. Ich habe eine Vision: Gleich nach der vorgezogenen Machtübergabe an die irakische Übergangsregierung sollten wir den Grundstein für eine Ausstellung uramerikanischer Werte legen. Ist es nicht unsere Aufgabe, dem einfachen Mann aus dem Basar Alternativen aufzuzeigen – Demokratie zum Anfassen, so was in der Art, Sie wissen schon.“

Die irakischen Begleiter nicken zaghaft. Es herrscht betretenes Schweigen, bis sich ein Vertreter des American Council for Cultural Policy die peinliche Stille mit einem Vorschlag unterbricht. „Man könnte doch zum Beispiel eine Vorher-nachher-Schau installieren – hier archaische Tontöpfe und da amerikanische Tupperware. Sumerische Keilschrift-Täfelchen auf der einen Seite und High-Tech-Laserprinter auf der anderen. Das müsste jeden Iraki überzeugen, dass Demokratie Fortschritt bedeutet.“

Der knorrige Kommisskopf White knurrt beifällig und spinnt den Gedanken weiter. „Oder die Transportabteilung: hier primitive Ochsenkarren, dort die erschwingliche Mittelklasselimousine für die ganze Familie. Ich sehe schon, wie das Ganze Gestalt annimmt.“

Der Tross bewegt sich weiter durch die endlosen Saalfluchten des zukünftigen Demokratie-Museums, in dem natürlich auch eine Ausstellung historischer amerikanischer Wahlmaschinen nicht wird fehlen dürfen. Als Paul Bremer in den zentralen runden Kuppelsaal tritt, bleibt er stehen und reibt sich nachdenklich das Kinn.

„Wenn man schon unbedingt Altertümer ausstellen will, wie wäre es mit einer Ausstellung über die biblische Geschichte? Wäre das hier nicht der perfekte Platz für eine Jesus Hall of Fame mit Multimedia und allem Pipapo? Trommelt doch gleich mal die Jungs von Microsoft und Time Warner zusammen, damit die da ein Konzept entwickeln!“ Begeistert über seinen eigenen Geniestreich wendet sich der umtriebige Spitzendiplomat dem Ausgang zu. Mr. President wird begeistert sein …

AUS BAGDAD: RÜDIGER KIND

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