Die Bürgerversicherung

Wie sie aussehen könnte und wie die Gegenargumente lauten

BERLIN taz ■ Die Bürgerversicherung wäre eine Weiterentwicklung des derzeitigen Systems, in dem 90 Prozent der Bevölkerung bereits gesetzlich versichert sind. Grundlage für die Finanzierung von Gesundheit blieben weiterhin die Einkommen – mit einem wichtigen Unterschied: Alle Einkommen aller wären gefordert. Um aus der gesetzlichen Krankenversicherung eine Bürgerversicherung zu machen, müssten also auch die privat versicherten 10 Prozent der Bevölkerung einbezogen werden. Dabei handelt es sich um Gutverdiener, Selbstständige und Beamte. Zur Berechnung der Beiträge würden außerdem nicht nur die Lohneinkommen, sondern alle Einkommensarten herangezogen: Mieten, Zinsen, Kapitaleinkünfte.

Unschwer zu erkennen, dass die Bürgerversicherung erstens den Privatkassen die Kundschaft rauben würde; sie müssten sich dann auf Zusatz- und Luxusversorgung stützen. Zweitens würden die Eliten der Gesellschaft stärker belastet. Diese zwei Faktoren sind es, vor deren Durchsetzung den beiden Volksparteien graut.

Der Vorkämpfer der Bürgerversicherung ist der Gesundheitsökonom Karl Lauterbach, der seit 1998 die rot-grüne Regierung berät. Nach Lauterbachs Modell könnten die Privatkassen alle Mitglieder behalten, die sie schon haben. Sie würden nur keine neuen bekommen. Neu Verbeamtete, Menschen, die gerade über die Versicherungspflichtgrenze hüpfen, junge Ärzte müssten in die Bürgerversicherung. Ihre Einkommen würden bis zu einer Grenze von 5.100 Euro „verbeitragt“. Dies könnte schon ab dem Jahr 2006 Mehreinnahmen von 15 Milliarden Euro bringen, die sich in 1,4 Prozentpunkte umrechnen lassen, um die die Kassenbeiträge sinken könnten. „In der Struktur“, sagt Lauterbach – also auf mittlere Sicht und bei konsequenter Umsetzung –, „könnten die Beiträge auf 11 Prozent sinken.“

Die Gegner der Bürgerversicherung halten sie für kapitalfeindlich und verfassungsrechtlich nicht durchsetzbar: Investoren würden ins Ausland flüchten, die Privatkassen sich ihr Recht auf Kunden vorm Bundesverfassungsgericht erstreiten. Überhaupt werde eine Zwangsversicherung gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert.

Die Bürgerversicherer sagen dazu: Wer mehr als 5.100 Euro verdient, dessen Kapital ist für die Bürgerversicherung uninteressant. Der typische Kapitalflüchter ist also gar nicht betroffen. Denn „verbeitragt“ werden ja überhaupt nur die Kapitaleinkünfte, die eine mögliche Lücke zwischen dem Einkommen und der Beitragsbemessungsgrenze (die besagten 5.100 Euro) schließen. Das sind keine Summen, um deretwillen man Geld ins Ausland bringt.

Dass die Privatkassen nach Karlsruhe gehen, sagen die Bürgerversicherer, ist absehbar. Doch würde ihnen ja nur ein Teil ihres Geschäfts entzogen: die Grundabsicherung der Kunden. Es bleibe ihnen unbenommen, Einbettzimmer, Chefarztbehandlung und Ähnliches weiterhin anzubieten. Tatsächlich aber muss hier mit einem Verlust von Arbeitsplätzen – vor allem der Versicherungsvertreter – gerechnet werden.

Mit dem Privatkassenproblem verwandt ist das Argument, dass das Gesundheitswesen jetzt schon bereits auf die Privatkassen angewiesen sei: Denn die Privatversicherten würden den Ärzten das Geld bringen, das sie von den gesetzlichen Kassen nicht mehr bekämen. In der Tat müssten privat behandelnde Ärzte auf diese Einkommensquelle verzichten; da ist Widerstand zu erwarten.

Was das „Zwangsargument“ angeht: Für die Mehrheit der Bevölkerung gilt der „Zwang“ bereits jetzt. Unklar ist, warum nur Gutverdiener dem „Zwang“ entzogen bleiben sollten. UWI