Fundsache Knarre

Panne mit verlorener Polizeipistole löst alte Diskussion neu aus: Ist das Tragen von Schusswaffen bei Demo-Einsätzen unnötiges Sicherheitsrisiko?

„Bei solchen Konfliktsituationen müssen keine Waffen präsent sein“

von KAI VON APPEN

Dass Polizisten bei Demonstrationseinsätzen ein gewisses Schutzbedürfnis haben, mag verständlich sein. Doch manche Bewaffnung ist nicht nur unpraktisch, sondern kann zum Sicherheitsrisiko werden oder gar zu einer ungeahnten Eskalation führen. Beispiel: Beim Neonaziaufmarsch am Samstag vor einer Woche in Barmbek hat ein Polizeibeamter bei einem Sprint seine Dienstwaffe verloren.

Die tödlichen Schüsse auf Polizisten an der Startbahn-West bei Frankfurt am 2. November 1987 hatten eine heftige politische Kontroverse entfacht, ob das Tragen von Schusswaffen bei Demo-Einsätzen künftig zu unterlassen ist. Denn die damals ums Leben gekommenen Polizisten Klaus Eichhöfer und Thorsten Schwalm könnten noch leben, wenn nicht kurz zuvor ein Kollege seine Pistole bei einer Demo in Hanau verloren hätte. Aus dieser Waffe wurden die tödlichen Schüsse auf die Beamten abgefeuert.

In Hamburg hätte sich so eine Panne beinahe wiederholt. Denn bei der Räumung der Hamburger Straße und der Verfolgung von Antifa-Demonstranten während des Aufmarsches verlor ein Beamter unbemerkt seine Pistole aus dem Holster. Zufällig bemerkte ein Kollege dies und sicherte den Ballermann. „Wenn die Knarre in die Hände der Nazis geraten wäre, hätte es eine Katastrophe geben können“, beklagt ein Antifa-Aktivist.

„Das hätte auch anders ausgehen können“, meint auch die innenpolitische Sprecherin der GAL-Bürgerschaftsfraktion, Sabine Steffen, und erneuert die alte Grünen-Forderung, auf das Tragen von Schusswaffen bei Protestaktionen zu verzichten. „Bei der Begleitung von Demonstrationen braucht man keine Schusswaffe“, bekräftigt Steffen: „Die Beamten sind ja nicht von Verbrechern umstellt.“

Der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritische Polizisten, Thomas Wüppesahl, unterstreicht das: „Das ist eine alte Forderung aus dem Bürgerrechtsspektrum“, sagt der Kripomann, denn eine Bewaffnung mache keinen Sinn: „Wenn es zu Hauerei kommt, dann kommt es eben zu Hauerei. Dafür braucht man keine Schusswaffe.“

Für eine Entwaffnung plädiert auch der Hamburger Rechtsanwalt und innenpolitische Berater der Bundesgrünen, Christian Busold. „Aus den Erfahrungen der Startbahn-West sollte jeder Polizist überlegen, das Risiko zu vermeiden.“ Für Busold spielt auch ein anderer Aspekt eine Rolle. „Bei einem Handgemenge kann eine Waffe leicht entwendet werden.“

Der Kriminologe Fritz Sack, Ex-Mitglied der Hamburger Polizeikommission, kritisiert ohnehin den lockeren Umgang der Hamburger Polizei mit Schusswaffen. „Je näher die Schusswaffe ist, desto eher wird sie auch eingesetzt“, kritisiert Sack generell und ermahnt. Dabei verweist er auf England, wo Polizisten auf Demos auch nur mit einem Schlagstock ausgestattet sind. Komme es dann auch noch zu solchen Pannen wie bei der Nazi-Demo, könne es schnell zu „Übersprungshandlungen“ kommen: „Schließlich symbolisiert die Waffe ja eine Macht.“

In der Tat sind Polizisten durch Schutzschilde, Schlagstöcke, Pfefferspray und Helm sowie den Bein- und Körperschutzaussrüstungen bei einer Eskalation in der Regel ausreichend geschützt. Daher ist Polizeisprecherin Ulrike Sweden der Fall peinlich: „Das darf nicht passieren. Wir werden prüfen, ob unsere Holster verbesserungswürdig sind.“ Dennoch kann sie sich einen generellen Waffenverzicht nicht vorstellen. „Da gibt es Vorgaben. Es kann ja auch mal sein, dass eine Einheit aus dem Einsatz herausgelöst wird“, skizziert Sweden ein seltenes Szenario. „Dann kann es nicht sein, dass sie erst irgendwo hinfahren müssen, um ihre Waffen zu holen.“