Türkischer Ex-Premier Ecevit am Pranger

Parlamentskommission geht Vorwürfen wegen Korruption nach und fordert weitere Untersuchungen

ISTANBUL taz ■ „Diese Vorwürfe sind Unsinn. Das ist ein plumper Rachefeldzug.“ Bülent Ecevit, türkischer Expremier, zeigte sich von den Vorwürfen einer parlamentarischen Untersuchungskommission, die Korruptionsvorwürfen gegen seine Regierung nachgegangen war, unbeeindruckt. Auch sein Vize Mesut Yilmaz bestritt in einer Anhörung alle Anschuldigungen.

Während man dem 79-jährigen Ecevit seine Empörung abnimmt, setzt Mesut Yilmaz darauf, dass man ihm nichts nachweisen kann, solange alle Beteiligten dichthalten. Das ist noch der Fall, kann sich aber ändern.

Denn erstmals in der Geschichte der türkischen Republik versucht eine Regierung nun, das Finanzgebaren ihrer Vorgänger zu durchleuchten. Das wurde möglich, weil alle vorherigen Regierungsparteien nach den letzten Wahlen aus dem Parlament ausschieden und keine Möglichkeit mehr haben, durch politischen Druck eine Untersuchung zu verhindern. Es wurde aber auch notwendig, weil nie eine Regierung zuvor eine solche Pleite zu verantworten hatte wie Ecevit und seine Mannen. Im Februar 2001 musste die Regierung über Nacht den Wechselkurs der Türkischen Lira zum Dollar freigeben, weil sie den Devisenkauf zu dem festgelegten Kurs nicht mehr finanzieren konnte. Die Folge: Die Bevölkerung verlor die Hälfte ihrer Ersparnisse – und eine gigantische Pleitewelle.

Schon bald war klar, dass die Pleite hauptsächlich durch Milliarden Dollar Schulden der staatlichen Banken verursacht worden war, die von der Politik als Selbstbedienungsläden für politische Projekte und Klientelwirtschaft missbraucht worden waren. Dazu kamen Bereicherungen bei der Privatisierung von Staatsbetrieben und Großgeschäfte auf dem Energiesektor.

Beispielhaft dafür war der Einkauf von Erdgas in Turkmenistan und Russland. Obwohl Verträge mit dem Iran und Turkmenistan die Türkei zur Abnahme großer Mengen Erdgas aus dem Iran verpflichtete, betrieb Yilmaz ein weiteres Großprojekt mit Russland, an dem die Türkei jetzt schwer trägt, weil sie zu weit überhöhten Preisen Erdgas abnehmen muss, das sie nicht braucht. Zufälligerweise baute eine Firma die Pipeline für das Russengas, an der der Bruder von Mesut Yilmaz beteiligt ist.

Nicht nur Yilmaz und die anderen Minister seiner Partei Anap stehen am Pranger. Die Kommission nennt 25 Mitglieder des Kabinett Ecevits, gegen 16 Exminister oder -staatssekretäre fordert sie weitere Untersuchungen. Stimmt das Parlament zu, werden 16 neue Kommissionen gebildet, die Anfang 2004 ihre Ergebnisse vorlegen. Dann entscheidet das Parlament erneut, ob, und wenn ja, welche Exminister sich vor dem Obersten Gerichtshof verantworten müssen.

JÜRGEN GOTTSCHLICH