Gesundheitsreformer verkatert

Politiker-Euphorie vorbei. Bevor die Beiträge sinken, muss Ministerin Schmidt erst mal die Krankenkassen überzeugen. Die wollen keine neuen Schulden

KKH: Senkung der Beiträge zu verordnen ist, „mit Verlaub, ein bisschen gaga“

BERLIN taz ■ Während die Politik weiter mit Beitragssätzen jongliert, verweisen die Krankenkassen auf schlichte Haushaltsrealitäten. „Bevor wir über die Senkung von Kassenbeiträgen reden, müssen wir auf die Ausgabenentwicklung im laufenden Jahr schauen“, erklärte die Sprecherin des BKK-Bundesverbands, Christine Richter, gestern der taz. „Wenn dann im Herbst ein fertiges Gesetz vorliegt, lassen sich Aussagen über Beiträge treffen“, sagte Richter.

Damit dämpfte sie ebenso wie fast alle anderen Kassen-Sprecher Erwartungen, dass die Kassen sich qua Gesundheitsreform zu Beitragssenkungen verpflichten ließen. Morgen werden die Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen im Gesundheitsministerium mit Staatssekretär Klaus Theo Schröder darüber beraten, welche Beitragssenkungen von den „Eckpunkten zur Gesundheitsreform“ zu erwarten sind.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hat mehrfach erklärt, dass die Kassenbeiträge dank der „Eckpunkte“, die sie zusammen mit der Opposition vergangene Woche vorlegte, schon 2004 auf im Schnitt 13,6 Prozent (von derzeit 14,4) sinken müssten. „Notfalls“ werde man die Kassen per Gesetz dazu zwingen. Daraufhin hatte die AOK, wo fast 40 Prozent der Versicherten Mitglied sind, erklärt, die Kassen müssten erst einmal Schulden von 7 Milliarden Euro bezahlen. Dann freilich blieben vom für 2004 berechneten Sparpaket von 10 Milliarden Euro nur mehr 3 Milliarden übrig – und kaum eine Beitragssenkung.

In einem Telefonat von AOK-Chef Jürgen Ahrens mit Schmidts Co-Reformer, Exgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU), wurde dann vereinbart, die Schulden zu „strecken“, sprich: später abzuzahlen. Eine derartige Streckung wird auch als Ergebnis von der morgigen Runde erwartet.

Dabei gibt es noch ein paar Haken: Grundsätzlich ist es den (West-)Kassen verboten, Schulden zu machen – unter anderem, weil die Versicherten nicht für Zinsen zahlen sollen. Darauf aber liefe auch eine „Schuldenstreckung“ hinaus. Finanzminister Hans Eichel (SPD), im Kabinett ohnehin der große Gesundheitsreform-Skeptiker, hält Kassenschulden außerdem für unvereinbar mit dem Euro-Stabilitätspakt.

Abgesehen vom Schuldenproblem rechnen die Kassen auch mit einem Anstieg der Kosten in diesem Jahr, einem so genannten Schmidt-Seehofer-Bauch. Dieser bestünde darin, dass erschrockene Versicherte sich „noch mal schnell die Zähne machen lassen“, bevor der Zahnersatz privatisiert wird – unabhängig davon, ob sie damit tatsächlich etwas sparen. Weitere Bomben lauern für die Kassen in der Umstellung der Ärztevergütung: Wenn die Kostendeckelung, das „Globalbudget“, 2006/2007 fällt, dürften die Ärzte wieder großzügiger behandeln. „Wir rechnen hier mit einem Kostenanstieg von etwa 20 Prozent“, erklärte gestern die Sprecherin der KKH, Annette Rogalla, der taz.

Die KKH, die keine Schulden, sondern im laufenden Jahr sogar ein Plus vermeldet, hat angekündigt, eine Beitragssenkung sei möglich, „wenn Schmidts Prognosen eintreffen“. Ähnlich vorsichtig hatten sich auch die – finanziell arg gebeutelte – Barmer und die DAK geäußert. Grundsätzlich aber, sagte Rogalla, „ist es eine Unangemessenheit, wenn die Politik Sätze verordnet“ – und im Übrigen, „mit Verlaub, ein bisschen gaga“. Schließlich hätten die Kassen schon aus Wettbewerbsgründen ein Interesse daran, die Beiträge zu senken. ULRIKE WINKELMANN