Ver.di wirbt wie Wüstenrot

Mit einer ungewöhnlichen Aktion will die Dienstleistungsgewerkschaft neue Mitglieder gewinnen: Wer sich vor den geplanten Kürzungen beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld schützen will, soll eintreten – bis zum Stichtag 31. Juli, sagt Ver.di-Chef Bsirske

aus Hannover JÜRGEN VOGES

So kann man Mitgliederschwund auch bekämpfen: Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di hat eine ungewöhnliche Aktion gestartet, um Nichtgewerkschafter zum Eintritt in die Organisation zu bewegen. Als Lockmittel dient der vermeintliche Schutz vor drohenden Kürzungen.

Seit die Tarifgemeinschaft der Länder Ende Juni die Tarifverträge über das Weihnachts- und das Urlaubsgeld gekündigt hat, planen fast alle Landesregierungen Kürzungen dieser Leistungen. Ver.di-Mitglieder sind jedoch wegen der „Nachwirkung“ der beiden Tarifverträge vor Einbußen beim Weihnachts- und Urlaubsgeld geschützt. Die Gewerkschaft scheut sich nicht, mit Hinweis darauf um neue Mitglieder zu werben. Offenbar mit Erfolg.

Die gekündigten Tarifverträge wirkten nur für tarifgebundene ArbeitnehmerInnen nach, heißt es in dem Flugblatt, das der Ver.di-Bezirk Hannover verteilt. „Ver.di-Mitglieder genießen diesen Anspruch!“ Dieses Versprechen mit angefügter Beitrittserklärung führte laut Ver.di-Sprecher Ulf Birch in drei Wochen bereits zu 250 neuen Mitgliedern. Bundesweit konnte Ver.di im Juli nach Angaben einer Sprecherin des Bundesvorstandes „mehrere tausend Eintritte aus dem öffentlichen Dienst“ verzeichnen. Das tut gut. Denn ebenso wie die Schwesterorganisation IG Metall leidet Ver.di seit langen unter kontinuierlichen Mitgliederschwund und hat allein im letzten Jahr 60.000 ihrer rund 2,74 Millionen Mitglieder verloren.

Argumentationshilfe für die neue Werbeaktion erhielt Ver.di ausgerechnet von der niedersächsischen Landesregierung. Das Finanzministerium in Hannover wies in einem Brief an andere Landesbehörden ausdrücklich auf die so genannte Nachwirkung der beiden Tarifverträge hin. Tarifgebundene Arbeitnehmer hätten „trotz Kündigung weiterhin einen Anspruch“ auf das vertraglich einst vereinbarte Weihnachts- und Urlaubsgeld, heißt es in dem Schreiben. Tarifgebunden seien dabei Arbeitnehmer, „die einer der Gewerkschaften angehören“, die die Verträge abgeschlossen hätten.

„Nichtmitglieder kann ich nur auffordern einzutreten“, verkündete denn auch Ver.di-Chef Frank Bsirske. Der Gewerkschaftseintritt, der den Anspruch auf die Sonderzahlungen auf Dauer schützt, muss allerdings laut Bsirske erfolgen, solange die gekündigten Tarifverträge noch formal gültig sind. Nach Angaben des Ver.di-Chefs ist der wichtigere Weihnachtsgeldtarifvertrag nur noch bis Ende Juli und der Urlaubsgeldtarifvertrag noch bis Ende August in Kraft.

Es geht um viel Geld. Die niedersächsische Landesregierung will bei den Beamten das Weihnachtsgeld von zuletzt 85 Prozent auf 50 Prozent eines Monatsgehalts kürzen. Das Urlaubsgeld, das jetzt noch bei 255 oder 332 Euro liegt, soll ab 2004 ganz gestrichen werden. Insgesamt planen mittlerweile 13 Länder Kürzungen oder Streichungen des Weihnachts- und Urlaubsgelds für ihre Beamten.

Ähnliche Maßnahmen würden die Länder gerne auch bei ihren Angestellten und Arbeitern durchsetzen. Die Länder pochen dabei auf Gleichbehandlung aller Bediensteten und sprechen von einer „Gerechtigkeitslücke“, die sie allerdings durch die Kürzungen bei den Beamten gerade selbst schaffen. Trotz der Kündigung der Tarifverträge sind die Kürzungen bei Arbeitern und Angestellten aber weit schwieriger durchzusetzen.

Die Ver.di-Werbeaktion wirft nicht nur deshalb Fragen auf. Denn bisher ist noch völlig offen, ob die Länder tatsächlich von der Möglichkeit Gebrauch machen, Nichtgewerkschaftern am Ende weniger Weihnachts- oder Urlaubsgeld zu zahlen. Im niedersächsischen Finanzministerium versichert man, „bislang“ gebe es „solche Überlegungen nicht“.