Die Wurzel der Hamburger Identität

Ohne Container und Euro-Paletten: Die Außenstelle des Museums der Arbeit im Hafen versetzt die Besucher in die Zeit, als Arbeiter noch Logistiker waren

von CHRISTIAN T. SCHÖN

Wirtschaftsstandort im Wandel. Landfressendes, westwärts wanderndes Areal. Abkürzung ins Alte Land. Das prägende Bild vom Hafen ist der Blick von den Landungsbrücken. Das Container-Terminal von der Autobahn aus. „DAS ist der Hafen?“ Weitläufige terra incognita.

„Die Wurzel Hamburger Identität bleibt der Hafen“, sagt Achim Quaas. Für ihn birgt der Wirtschaftsstandort mehr, ein ungeschriebenes Kapitel Arbeitskultur, ein Stück Hamburger Sozialgeschichte. Seit 1986 ist der Diplom-Ingenieur Oberkustos des Sammlungsbereichs Hafen im Museum für Arbeit und hat einige wertvolle Stücke zusammengetragen: 1989 den Schwimm-Dampfkran „Saatsee“, 1996 einen Schutendampfsauger aus dem Jahr 1909, eine 300 Tonnen schwere Schiffbau-Hydraulikpresse, gebaut 1918, außerdem eine Schute und zwei Hafenpolizeiboote. An der ganzen Elbe entlang lagen die Dokumente der ersten Industrialisierungsphase im Hafen verstreut, im alten Nikolaifleet, in Övelgönne, im Mühlenberger Loch. Jetzt sind sie – genau genommen seit Ostern dieses Jahres – erstmals an einem Ort konzentriert.

Zwei Kräne stehen am denkmalgeschützten Kai, Schwimmkran und „Sauger IV“ liegen im Wasser des Hansahafens. Ein Museumsshop, eine Kaffeeklappe und ein Schauraum mit Waagen, Tauen, Karren wurden im Kopfbau des Schuppen 50A (Baujahr 1909 bis 1912) eingerichtet. Vor der Tür des Hafenmuseums, offiziell „Außenstelle des Museums für Arbeit“, steht ein Van-Carrier. Er ist das modernste Zeugnis der Sammlung. Deren Schwerpunkt ist Gerät aus der Zeit vor 1966, bevor Gabelstapler, Euro-Paletten und Container die Arbeit rationalisierten, als Ladungen noch mit Karren und Kränen am Kai gelöscht und in Schuppen gelagert wurden.

Viele Hafenarbeiter, die noch wissen, wie man einen Schiffsbauch belädt, ohne dass das schwere Gut das leichte erdrückt oder der ganze Stauraum im nächsten Hafen umgekrempelt werden muss, sind längst pensioniert. Ehrenamtlich engagieren sich einige auf den Museumsschiffen, warten die Maschinen, führen sie vor und erzählen. Mündlich wie eh und je geben sie ihr Wissen an die Besucher weiter. Wissen, das in keinem Lehrbuch steht, sich durch jahrelange Arbeit zur effektiven Logistik verdichtet hat. So erzählt ein Naturkautschukballen im Treppenhaus von der Verantwortungskette, die vom Produzenten bis zum Kaufmann korrekte Qualität und Stückzahl garantierte. Von Ewerführern, Schauerleuten und Tallymännern mit einem Gespür für Schmu und Betrug, das sie unter dem Gummi eine sandgefüllte Holzkiste entdecken ließ.

Nichts ist hier museal steril, technisch clean. Echter Ruß klebt an den Händen, wenn man aus dem Kesselraum steigt. Die wuchtige Dreifach-Expansions-Dampfmaschine riecht nach Öl und Fett, ihre Kolben glänzen. Der Heizraum muss die Hölle gewesen sein. Dunkel und extrem heiß. Alles aus Metall – folglich gab‘s Verbrennungen an Händen und Armen. Den Blick auf den Druckanzeiger gebannt, Kohle stemmen. „Ein positives Weltbild brauchten die Heizer“, sagt Achim Quaas, „um hier unten seelisch zu überleben.“

In einer Vitrine liegt ein Album mit getrockneten Blättern. Dem studierten Schiffsbauingenieur geht es nicht um die pure technische Leistung. Quaas hat auch Sozialwissenschaften studiert. Ein alter 68er, der sich für die sozialen Hintergründe des Arbeitslebens interessiert, der Verbindungen herstellt zwischen der Sesshaftwerdung der Seefahrer und der Kindeserziehung, zwischen dem positiven Weltbild und dem Gymnasialabschluss zweier Heizersöhne.

Für jedes der monumentalen Exponate wird eine eigene Bord-Ausstellung konzipiert. Tafeln und an Schnüren baumelnde Schildchen erläutern die Maschinen- und Aufenthaltsräume der Mannschaften. Gerade wird eine Dusche restauriert. Ohne die Ehrenamtlichen könnte sich das Museum die Reparatur gar nicht leisten.

Larmoyant klingt Quaas nicht, aber gerne würde er einen Teil des Schuppens 50 als Ausstellunsgfläche anmieten, Sammlungen und kulturelle Leistungen der Hafenpensionäre erschließen – forschen eben und Aufgaben eines Museums wahrnehmen. Doch das Geld sehen einige wohl lieber werbewirksamer für „Maritimes“ angelegt.

Australiastraße, Kopfbau Schuppen 50A, Di–Fr 14–18 Uhr, Sa+So 10–18