das sommerwunder (3)
: WALTRAUD SCHWAB erklärt, warum der Sommer in Berlin so schön ist

Die Stadt duftet

In Berlin ist der Sommer zu riechen. Am Anfang, wenn er noch als nicht eingehaltenes Versprechen daherkommt, liegt der Geruch feuchter Erde in der Luft. Am Ende ist es jener von modrigem Laub. Dazwischen aber werden in der Stadt sämtliche Aromaregister gezogen, die glücklich machen: Verführung, Verlockung und Zauber.

Eingeführt durch den leichtlebigen Flieder, der sich, einmal abgerissen, sofort nach unten neigt, beginnt der wirkliche Duftsommer mit einem Glockenschlag. Fast aus dem Nichts bricht sich ein Wohlgeruch Bahn. Frisch ist er, wie ein noch unausgesprochener Satz, schmeichelnd wie der Hauch eines angedeuteten Blicks, zart wie das zur Seite geneigte Gesicht der Geliebten. Für wenige Tage verwandeln sich selbst die traurigsten Ecken in Moabit, Kreuzberg oder Neukölln in eine berauschende Arena.

Auf der Stromstraße zum Beispiel ist es zu riechen. Zwecklos, sich dorthin zu verirren. Den aromatischen Überfluss für wenige Stunden gibt es, wenn die Robinien, die falschen Akazien, blühen. In keinem Schlager kommen sie vor. Kein modernes Metropolendrama braucht ihren Schatten. Die weißen Lippen der Blüten kleben an zu spillrigen Ästen. Zernagt von der Roheit des Winters und der Stadt kippt der Baum seinen Duft aus und tränkt die Luft noch in den dreckigsten Straßen mit seidigem Duft. Es ist das olfaktorische Crescendo, einmal im Jahr, das nahtlos in einen weicheren Ton übergeht.

Denn schon mischt sich die herbere Note des Holunders unter die Luft. Sein Duft schmeichelt den Kennern, jenen, die den blumigen Blütenstaub auch dann noch riechen, wenn sich der harzige Holzgeruch über sie legt.

Oft vermischt sich die leise, gedehnte Holundersüße mit dem Duft von Jasmin. In Berlin stehen beide Sträucher gern nah beieinander. Jasmin ist flüchtig. Nur ganz in der Nähe des Strauches wird er zur Sirene, die in den Bann zieht.

Kurz nach dem Abblühen der falschen Akazien gehen die Blüten der Linden auf. Berlin ist voll davon. Zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor wurde ihnen eine ganze Prachtstraße gewidmet. Weniger laut in ihrer aromatischen Verschwendung als die Robinien sind sie, wohl aber blühen sie länger. Nachts streicht ihr balsamischer Duft über die Innenhäute des Körpers. Bei offenem Fenster erfährt der Schlafende davon nur im Traum, denn von den ersten Sonnenstrahlen des Morgens wird ihr Wohlgeruch aufgesogen.

Die Linden blühen lange. Danach aber beginnt die Zeit des Wassers. Aufgewärmt verströmt es in der Nähe der Kanäle, Flüsse und Seen seine erdig riechende Frische. Es ist der erste Schritt, der in die Tiefen des Spätsommers hineinführt. Denn je länger er sich dem September annähert, um so deutlicher legt er seine feuchten Schleier in der Nacht über die Bäume. Dann sind frühmorgens die schweren Erdtöne, die den Herbst ankündigen, schon zu riechen.

Berlin – die Parfümierte, die Glückliche? In welcher anderen Stadt kann die Partitur der schönen Jahreszeit noch eratmet werden?