Mission: übererfüllt

Vor dem Halbfinale gegen Griechenland wünscht sich Tschechiens Trainer Karel Brückner eine Horde englischer Spielerfrauen, um seine „fein abgestimmte Maschine“ ungestört vorbereiten zu können

AUS LISSABON MATTI LIESKE

Zu Beginn dieser Europameisterschaft waren einige tschechische Spieler möglicherweise etwas irritiert über die große Zahl von Journalisten, speziell jene der Londoner Fachpresse für Schlüpfrigkeit und groben Unfug, die in der Nähe ihres Hotels herumlungerten. Erwarteten sie etwa, dass Nedved, Koller und Konsorten die Bar des noblen Etablissements im hübschen Städtchen Sintra nahe Lissabon leer trinken und dann die Einrichtung kurz und klein schlagen würden, so wie es englische Mannschaften gelegentlich bei Auswärtsfahrten handhaben? Sie durften beruhigt sein. Die mediale Überwachung galt nicht ihnen, sondern den englischen Spielerfrauen, die sich ebenfalls im Penha Longa Hotel & Golf Resort einquartiert hatten. Inzwischen gehört die mediale Aufmerksamkeit ganz ungeteilt tatsächlich den Tschechen, und redlich haben sie sich diese verdient mit ihrem Einzug ins Halbfinale heute in Porto gegen Griechenland.

Mittlerweile herrschen ob des Andrangs chaotische Verhältnisse, wenn Karel Brückner und seine Spieler zur Pressekonferenz bitten, zumal Sintra am Dienstag auch noch seinen 850. Jahrestag festlich beging. Vor allem Brückner, dem weißhaarigen Trainer mit dem feinen Schwejk-Lächeln um den Lippen, ist deutlich anzusehen, dass es ihm lieber wäre, wenn die Engländerinnen noch da wären und sich alles auf diese stürzen würde statt auf ihn. Der 64-Jährige, der lange im Jugendbereich des Verbandes arbeitete, bevor er Chefcoach wurde, lässt sich nicht gern in die Karten schauen, und so verschleiern seine Antworten die Dinge meistens mehr, als dass sie diese erklären. Als Architekt der tschechischen Mannschaft hat er bisher alles richtig gemacht. Sogar sein Vabanquespiel, im letzten Gruppenspiel gegen die Deutschen lauter Leute einzusetzen, die sonst nicht spielen – um das Brückner verhasste Wort von der zweiten Garnitur zu vermeiden – ging mit dem 2:1-Sieg auf. Bei einer Niederlage hätte er sich heftige Kritik und Unsportlichkeitsvorwürfe vor allem von den dann ausgeschiedenen Holländern anhören müssen.

Dreimal schaffte es sein Team, einen Rückstand noch in einen Sieg zu verwandeln, erst beim 3:0 im Viertelfinale gegen Dänemark gelang es den Tschechen, selbst das erste Tor zu schießen. Besonders imposant war der 3:2-Sieg gegen die Niederlande nach 0:2-Rückstand, eine Leistung, die Johan Cruyff vor allem Karel Brückner zuschreibt: „Die Korrekturen, die er vorgenommen hat, waren entscheidend, damit hat er seine Qualität als Trainer unter Beweis gestellt.“ Cruyff ist beeindruckt von der Ballsicherheit, mit der die Tschechen blitzschnell das Mittelfeld überbrücken, sieht aber Probleme, wenn sie selbst das Spiel machen müssen – so wie gegen Lettland, als sie erst spät die beiden Tore zum 2:1-Erfolg erzielten.

Genau hier liegt die Chance der Griechen, deren hochgewachsene Defensive klar besser ist als die der Letten und deren Konterspiel bislang hervorragend funktionierte. „Die Tschechen sind wie eine fein abgestimmte Maschine“, sagt der Däne René Henriksen, der bei Panathinaikos Athen spielt, meint aber auch: „Wenn die Griechen keine Angst haben und fest in der Abwehr stehen, können sie es schaffen.“

Natürlich hofft das Rehhagel-Team auch, dass es einmal mehr vom Gegner unterschätzt wird. Die Gelb-Diskussion im tschechischen Lager kommt den Griechen daher wie gerufen. Tomas Ujfalusi, Marek Jankulovski und Pavel Nedved sahen gegen Dänemark die gelbe Karte und wären bei einer weiteren für ein eventuelles Finale gesperrt. Besonders die Verwarnung für Nedved, ihren wichtigsten Mann, die dieser nach einer Schauspieleinlage von Groenkjaer bekam, ärgert die Tschechen, die vergeblich versuchten, die Entscheidung durch die Uefa revidieren zu lassen.

„Ich möchte nicht ein weiteres großes Endspiel wegen gelber Karten verpassen“, sagt Nedved, dem dieses Missgeschick beim Champions-League-Finale 2003 widerfuhr. Wohl der Hauptgrund, warum Juventus Turin nicht gegen den AC Mailand gewann. Gleichwohl versprach der Tscheche – wie auch Ujfalusi und Jankulovski –, seine Spielweise nicht ändern zu wollen und gewohnt robust-rustikal über den Platz zu toben: „Ich kann nicht vor dem Kampf zurückschrecken.“ Brückner darf also schon mal ohne ihn planen, was er offenbar auch tut. „Nedved wird als unser Schlüsselspieler gesehen, aber wir haben auch schon häufig ohne ihn gespielt“, beugt der Trainer vor. Keiner der Tschechen versäumt es, pflichtschuldigst darauf hinzuweisen, dass es fatal wäre, schon ans Endspiel zu denken, aber alle tun es. Der Optimismus im Land und auch im Team ist riesig. „Kein Grund zur Bescheidenheit, diese Mannschaft ist die beste Europas“, bringt eine Prager Tageszeitung die Stimmung auf den Punkt, was Assistenztrainer Miroslav Beránek, zu der Mahnung veranlasst: „Wir haben noch nichts gewonnen, es gibt keinen Grund zur Euphorie.“

Viel wird im Halbfinale davon abhängen, ob sich das Sturmduo Koller/Baros gegen die Griechen so entfalten kann wie bisher. Vor allem der 22-jährige Milan Baros, um den vor drei Jahren Juventus und Borussia Dormund buhlten und der dann beim FC Liverpool aufs Abstellgleis geriet, war mit seinen fünf Toren der bisherige Sieggarant und auch derjenige Spieler, dessen Einwechslung das Experiment gegen Deutschland zu einem guten Ende für die Tschechen (und Holland) führte. „Vielleicht wird mein Name ja nach diesem Turnier ein bisschen bekannter sein“, hatte Baros vor der EM gehofft. Mission übererfüllt, kann man da nur sagen.

Was Karel Brückner in jedem Fall möchte, ist eine Entscheidung vor dem Ende der Partie. „Elfmeterschießen gehört nicht zu meinem Repertoire“, sagt der tschechische Trainer und fügt – kleine Reminiszenz an den EM-Gewinn 1976 – hinzu: „Und Panenka hat ja schon geschossen.“