Von Casablanca bis Muskat

Wer in Berlin bleibt, muss auf Postkartenidylle aus der Fremde nicht verzichten: Ein Besuch im Vitra Design Museum reicht. Dort leuchtet orientalische Architektur als buntes Licht-und-Schattenspiel

von WALTRAUD SCHWAB

Groß ist die Ausstellung nicht, die derzeit im Vitra Design Museum zu sehen ist, aber farbenfroh. Passend zum Sommer. Zum Fernweh. Sie bietet die virtuelle Reise in eine Welt, deren Wirklichkeitswert, so die Veranstalter, im Niedergehen begriffen sein soll. Gemeint sind die traditionellen Wohnkulturen im arabischen Raum.

„Leben unter dem Halbmond“ ist der Titel der Ausstellung. Nicht gerade ein Glücksgriff. „Klingt irgendwie negativ“, sagt ein Besucher. „Kommt vermutlich durch die phonetische Nähe zu ‚Leben unterm Hakenkreuz‘ oder ‚Leben unter Hammer und Sichel‘.“ Nichts von all dem ist jedoch gemeint. Die Ausstellung will verführen.

Wenige Exponate sind dazu notwendig: Kameldecke und Teekanne, gehämmerte Messingtabletts und mit Ornamenten verzierte Balustraden, die das Licht geheimnisvoll brechen. Dazu gibt es Fotos und Filme von Menschen, vom Alltag und von Stadtansichten vor tiefblauem Himmel. Immer wieder sind einzelne Häuser hervorgehoben, deren architektonische Klarheit und Funktionalität durch ornamentale Dekoration so bereichert wird, dass die Sehnsucht nach 1001 Nacht unstillbar wird. Dominierende Farbe der Schau ist Rot. In allen Variationen. Scharlach, Zinnober, Rubin.

Um das Verständnis für die arabische Architektur zu steigern, werden dreidimensionale Modelle von Tuareg-Zelten, syrischen Kuppelbauten, irakischen Schilfhäusern, jemenitischen Lehmhäusern gezeigt, die immer etwas über die jeweiligen kulturellen, politischen und natürlichen Hintergründe der Regionen erzählen. Deutlich wird, dass dabei meist ein harmonischer Ausgleich zwischen familiärer Intimität und der Öffentlichkeit und Außenwelt gesucht wird. Zur Straße hin wirken viele Häuser einfach und unprätentiös. Das Leben hinter den Mauern und in den darin verborgenen Gärten erlaubt dagegen sinnlichen Überfluss.

Als Rekurs auf die Gegenwart sind in der Ausstellung zudem Modelle von modernen Wohnblocks aus arabischen Ländern aufgenommen, die als Beispiele für die Synthese von herkömmlicher und westlicher Bauweise stehen. So wird nicht nur ein geografischer Bogen von Casablanca in Marokko bis Muskat in Oman gespannt, sondern auch ein zeitlicher. Er umfasst Lebensformen, die noch archaischen Ideen zugeneigt sind, wie jene der Nomaden, die ihren Herden hinterher ziehen, bis hin zu solchen, die eine Adaption internationaler Moden und eines modernen Nomadentums in Form gesteigerter Mobilität favorisieren.

Es ist ein kleine Ausstellung, die sich unverhohlen dem Zauber hingibt, der durch einen kunstvollen und optimalen fotografischen Umgang mit Licht und Schatten entsteht. Die Bedingungen, denen sich die Wohnkultur in der arabischen Welt unterordnen muss, sind nicht nur durch extreme Trockenheit, Hitze, Wassermangel und Temperaturunterschiede gekennzeichnet. Sie bauen auch auf ein Spiel mit der alles bestimmenden Sonne. Sie begünstigt die kontrastreiche ästhetische Inszenierung. Licht, das durch ein kunstvoll verziertes Gitter oder Fenster auf den Boden fällt, verdoppelt das Ornament.

Die Ausstellungsmacher, Alexander von Vegesack und Mateo Kries, haben sich bei ihrem Projekt von Nostalgie leiten lassen. Gezeigt wird das Schöne, das Alte, das liebevoll Gehegte und Gepflegte. Sie meinen, dass die Ausstellung einige dieser Lebenswelten vielleicht zum letzten Mal dokumentieren wird. Denn immer größere Teile der arabischen Länder regieren auf die Bevölkerungsexplosion mit Trabantenstädten aus Beton. Dies erhöht die Verklärung der gezeigten Lebenswelten und Wohnformen, entschuldigt aber nicht die verklärende Präsentation, die umgekehrt jedoch zum Träumen einlädt.

Viele Filme von Deidi von Schaewen ergänzen die ausgestellten Objekte. Im Grunde sind sie das Herzstück der Schau. Menschen werden darin porträtiert, ihr Alltag in den Häusern wird gezeigt. Wie arrangieren sie sich mit und in ihren Räumen, wie leben sie darin, wie eignen sie sie sich an? Die Sinnlichkeit und Großzügigkeit, mit der Farben und Formen dekorativ verwendet werden, wird in diesen Filmen offenbar.

Dass Liebe zum Detail allerdings meist ein Privileg für Wohlhabende ist, das wird nicht deutlich gemacht. Wie das Gros der Bevölkerung lebt, wird nicht thematisiert. Auch nicht die politischen und kulturellen Umbrüche, denen die arabische Welt ausgesetzt ist. Nicht zuletzt fehlt in der Ausstellung ein Rekurs auf Wohnformen der arabischstämmigen Bevölkerung in Berlin. Welche Synthesen entstehen hier? Wie harmonieren Möbel Hübner und Harem? Wie der Niedergang der Männergesellschaft mit Ofenheizung und Ikea? Es hätte sich angeboten, auch darauf nach einer Antwort zu suchen.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 11. Januar 2004 im Vitra Design Museum, Kopenhagener Str. 58