Portugal gewinnt Europameisterschaft

Nach der einstimmigen Nominierung des Portugiesen Barroso als nächster EU-Kommissionspräsident: Jedes politische Lager will im neuen Chef die eigenen Vorstellungen verwirklicht sehen. Wenn das nicht klappt, gibt es Ärger im Europaparlament

AUS BRÜSSELDANIELA WEINGÄRTNER

Der Kandidat gab sich sozial am Abend seiner Nominierung. „Ich will die Lissabon-Strategie mit der sozialen Dimension versöhnen“, betonte der portugiesische Premierminister, als seine EU-Kollegen ihn als nächsten EU-Kommissionspräsidenten vorschlugen. Beim Gipfeltreffen in Lissabon hatten die EU-Regierungschefs vor vier Jahren beschlossen, die EU bis 2010 zum führenden Wirtschaftsstandort in der Welt zu machen. Wettbewerbsfähigkeit hieß das Zauberwort, Sozialstandards wurden eher als störender Kostenfaktor angesehen.

Doch José Manuel Durão Barroso weiß, dass er am 20. Juli im Europaparlament auch ein paar Stimmen aus dem linken Lager braucht, wenn er die erforderliche Mehrheit von mindestens 367 Abgeordneten hinter sich versammeln will. Die Konservativen sind zwar nach den Europawahlen vom 13. Juni wieder die stärkste Kraft, doch sie bringen es nur auf 269 Stimmen. Selbst wenn sich die 66 Mitglieder der liberalen Fraktion ebenfalls für Barroso aussprechen, reicht es nicht für die Mehrheit.

Bislang äußern sich nur die Konservativen begeistert über den Parteifreund, dem der Ruf vorausgeht, knallhart marktwirtschaftliche Positionen zu vertreten. Edmund Stoiber lud seinen „Freund Durão Barroso“ gleich zu den nächsten Bayreuther Festspielen ein. Er lobte, dass der Kandidat das Haushaltsdefizit in seinem Land in seiner Amtszeit fast halbiert habe. „Das ist eine absolut überzeugende politische Leistung und ein Vorbild für andere EU-Länder, besonders auch für die Bundesregierung in Berlin“, sagte er.

Zu Hause hat die Sparpolitik Barroso in den zwei Jahren seiner Regierung viele Anhänger gekostet. In Brüssel schlug er am Dienstagabend verbindliche Töne an und versuchte, die Vorbehalte gegen seine Person zu entkräften: „Die Union basiert auf dem Grundsatz der Solidarität“, erklärte er lächelnd in brauchbarem Englisch. Die Vereinigte Linke, die im neuen Parlament 37 Stimmen hat, kündigte dennoch nach der Nominierung ihr einhelliges Nein gegen den Kandidaten an.

Sylvia-Yvonne Kaufmann von der PDS erklärte: „Barroso war ein hilfreicher Verbündeter für Tony Blair, nicht nur im Irakkrieg, als er die anglo-amerikanische Kriegskoalition unterstützte, sondern auch beim Thema neoliberale Reformen in Europa.“ Auch die Grünen äußerten sich skeptisch, da Barrosos europapolitische Vorstellungen „zu amerikafreundlich“ seien. Ebenso wie Sozialdemokraten und Liberale wollen sie den Kandidaten zu einer Anhörung einladen und erst danach entscheiden, ob sie ihm ihre Stimme geben.

Der Parteichef der europäischen Sozialisten, der Däne Poul Nyrup Rasmussen, bezeichnete das Verhalten der Regierungschefs gestern als arrogant. Der Rat habe das Parlament vorher nicht konsultiert. Dem Kandidaten fehle europapolitische Erfahrung. Rasmussen erinnerte daran, dass nach den Regeln der neuen Verfassung der nächste Kommissionspräsident in fünf Jahren direkt vom Parlament gewählt wird.

Nach seiner Nominierung betonte Barroso, er sei stolz darauf, alle 24 Regierungschefs hinter sich zu wissen. Da vor allem Jacques Chirac gegen den Gastgeber des Azorengipfels, wo sich im März 2003 kurz vor Ausbruch des Irakkrieges die Befürworter des Krieges getroffen hatten, starke Vorbehalte geäußert hatte, stellt sich nun die Frage, welches Versprechen er gegen seine Zustimmung eingetauscht hat. In Brüssel munkelt man, Frankreich bekomme dafür den Posten des nächsten Wettbewerbskommissars zugesichert.

Der Bundeskanzler hatte schon am Montag erklärt, er werde Günter Verheugen für weitere fünf Jahre als Kommissar nach Brüssel schicken. Barroso wies derartige Einmischungen zurück: „Ich freue mich auf Vorschläge der Regierungen“, sagte er. „Die letzte Verantwortung für die Verteilung der Ressorts liegt aber bei mir.“