Parcours der Enttäuschungen

No risk, no fun: Die Ausstellung „Auf eigene Gefahr“ in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt, verspricht dem Publikum zwar allerlei bedrohliche Situationen. Doch vor dem Lachgas von Henrik Plenge Jakobsen schützt die deutsche Rechtsprechung, und Camilla Dahls „Champagner-Bar“ ist erst ab 16 freigegeben

Wer Durst hat, muss sich auch bei Dahl leider an die strikten Öffnungszeiten halten

von SHIRIN SOJITRAWALLA

„Risiko!“, hieß es in Wim Thoelkes Quizsendung „Der große Preis“ immer dann, wenn die Kandidaten den zu setzenden Geldbetrag selbst bestimmen mussten. Derart riskant geht es in der Ausstellung „Auf eigene Gefahr“ in der Frankfurter Schirn leider nicht zu.

„Ein Risiko einzugehen heißt immer, eine eigene Entscheidung zu treffen“, steht zwar viel versprechend im Katalog, aber genau das, eine eigene Entscheidung zu treffen, bleibt dem Besucher die meiste Zeit untersagt. So hätte man zu gern im „Gasgolf“ von Henrik Plenge Jakobsen Platz genommen und sich tüchtig benebeln lassen. Jakobsen hat drei Lachgasflaschen auf den Dachgepäckträger eines Golfs geschnallt und über Schläuche mit dem Wageninneren verbunden. Ein Turn-Mobil, wenn man so will. Doch vor dem Recht auf Rausch kommt bekanntlich die deutsche Rechtsprechung, und die verbietet seit 1999 die rezeptfreie Abgabe von Lachgas. Also steht Jakobsens Golf nun wie ein leeres Versprechen im Raum.

Der Rückzieher ist durchaus symptomatisch für diese Ausstellung. Denn auch „Im Arsch des Elefanten steckt ein Diamant“, eine Installation der österreichischen Künstlergruppe „gelatin“, ist nicht frei zugänglich. Der Elefant aus Plastikmüll ist nur über eine Bretterbrücke in zehn Meter Höhe zu erreichen. Doch der Besucher darf nicht selbst entscheiden, ob er das Wagnis eingeht. Den Zugang zum Arsch des Elefanten versperrt eine nette Museumsangestellte, die erzählt, es sei einfach zu gefährlich gewesen, die Besucher über die Bretter balancieren zu lassen.

Das sehen wir ein. Doch nennt sich die Ausstellung nicht „Auf eigene Gefahr“? Ist das ironisch gemeint? „Parcours der Enttäuschungen“ müsste es fairerweise heißen. Denn auch an der „Champagner-Bar“ kommen wir nicht zum Zug. Dabei hat sich Camilla Dahl so viel Mühe gegeben mit ihrer waschbeckenartigen Theke, die wie eine Mischung aus Tränke und Lustobjekt aussieht. Am unteren Rand des Porzellanmonstrums hängen drei zitzenartige Sauger. Wer Durst hat, muss auf die Knie gehen, den Mund nach oben strecken und nuckeln. Doch wir durften uns erst gar nicht überwinden, weil die Bar strikte Öffnungszeiten hat. Nur samstags und sonntags von 15 bis 17 Uhr fließt hier der Veuve Clicquot. Und das auch nur für halbwegs Erwachsene. Ein signalgelbes Schild warnt, dass die Abgabe von Champagner nur an Personen über 16 Jahre gestattet ist und nicht etwa auf eigene Gefahr.

Gleich nebenan dürfen die Besucher immerhin auf eine Flughafen-Rollfeldtreppe steigen, über Kopfhörer merkwürdigem Gebrummel lauschen und sich überlegen, was das soll. Zwei solcher Treppenaufgänge ins Nichts stehen sich gegenüber. Dazwischen liegt ein großformatiger Spiegel auf dem Boden. Die brasilianische Konzeptkünstlerin Ana Maria Tavares hat sich das ausgedacht. Und Martina Weinhart, Kuratorin der Ausstellung, schreibt dazu im Katalog: „Einmal mehr wird ‚Ich sehe mich selbst sehend‘ zu einer riskanten Erfahrung.“ Das hält sich, ehrlich gesagt, in Grenzen. Wie sich überhaupt die angestrebte thematische Auseinandersetzung mit dem Begriff des Risikos als Mogelpackung erweist. Das gilt leider auch für Ann Veronica Janssens’ nette Idee, einen Raum der Schirn vollständig in Nebel zu hüllen. Wie einen Zauberwald betritt der Besucher das Nebelnichts und könnte sich darin verlieren, wenn die überdeutliche Maserung auf dem Parkett nicht gerade das zuverlässig verhindern würde.

Doch zum Glück gibt es ja Christoph Büchel und seine Montage aus mehreren Räumen. Büchel hat eine Wohnung ein- und zugerichtet: zwei Zimmer, Küche, Bad – total verkruscht und zugemüllt. Im Badezimmer steht das Wasser kniehoch, in der Küchenspüle gammeln abgenagte Hühnchenknochen, und im Wohnzimmer stürzen Erdmassen zum Fenster hinein. Durch eine Luke über dem Schuhschrank kann man sich auf eine Reise begeben, die an Heizungen vorbei durchs Badezimmer führt, wo man über einen Hocker steigen muss, um trockenen Fußes wieder ins Wohnzimmer zu gelangen. In dieser Muffbude spürt der Besucher zumindest eine leise Aufregung, wenn er sich aufs Sofa setzt und es so gar nicht unwahrscheinlich findet, dass der schlampige Eigentümer gleich zur Tür hereinkommt. Das Unkalkulierbare wird hier zur Kunstform.

Mit diesem Reiz spielt auch der Brunnen des dänischen Installationskünstlers Jeppe Hein. Die einzelnen Fontänenwände des sechseckigen Brunnens versiegen, sobald man sich ihnen nähert. Man kann in dem Brunnen ein- und ausgehen, ohne nass zu werden. Natürlich versucht man es erst selbst, nachdem man gesehen hat, dass andere trocken wieder herausgekommen sind. Von daher passt die Arbeit zur aktuellen Ausstellung in der Schirn, die nichts weiter riskiert als eine dicke Lippe.

Bis 7. September, Schirn Kunsthalle, Frankfurt. Der Katalog kostet 25 Euro. Weitere Informationen: www.schirn.de